Die Methode ist Phantom und das Phantom ist Methode

Aus Daimon

Ferdinand Schmatz

Die Methode ist Phantom und das Phantom ist Methode

Auszüge aus einem Gespräch mit Thomas Feuerstein[1]



Sprachmaschine

Wer oder was spricht, auch und besonders aus mir? Mit dieser Fragen beschäftigen sich Autoren seit Sappho über Hölderlin bis heute. Besonders in der Moderne kam es zu Relativierungen, was die Rolle des Autors als sprachmächtigen Gestalter anbelangte, die später im französischen Strukturalismus und in der Postmoderne zur Zurückdrängung des Autors führten. Man sprach vom Tod des Autors, nebenbei gesagt eine unglückliche Metapher, um die der Sprache inhärenten Regelwerke zu betonen. Die Materialität der Sprache rückte in den Vordergrund und Sprache verwandelte sich in eine Maschine, die selbsttätig Texte produziert. Damit wurde der Autor zum Maschinisten, der einerseits von einer eigenständigen, von ihm unabhängigen Apparatur instrumentalisiert und in Besitz genommen wird. Der Autor kann sich aber andererseits auch die dominante Sprachmaschine zunutze machen, indem er sie als materiellen Träger von Erfahrung und Erkenntnis geistig nutzt. Die beiden Ebenen von Herr und Knecht auseinanderzuhalten ist schwierig, da im Prozess des Schreibens der Geist des Autors und die Materialität der Sprache sowie die in ihr vorgegebenen Sinnformen, die in den Wörtern verankert sind und dann in Sätzen zum Ausdruck kommen, nicht getrennt werden können. Weiters ist die physikalisch-wissenschaftliche Trennung von Geist und Körper dem Schreibenden fremd, denn sie sind immer verwoben und bilden eine Einheit. Als Autor interessiert mich, diese Prozesse zu analysieren, zu trennen und wieder ineinander zu führen. Darin sehe ich einen wesentlichen Bestandteil meiner Arbeit, meines Schreibens und Dichtens. Ich untersuche Sprache aber nicht unter dem Aspekt einer festgelegten ideologischen Botschaft, sondern ich warte aufgrund verschiedener Beobachtungskriterien auf das, was sich als Botschaft einstellt. Ich verfolge ein Thema bis ich die Intention verspüre, etwas auszudrücken, ohne den sprachlichen Ausdrucksmechanismen blind zu vertrauen. Das heißt, ich misstraue der Sprache als Maschine oder als mir gegenüberstehenden Apparatur, die einfach da ist und viel mit mir zu tun zu haben scheint, aber gleichzeitig auch etwas ganz Anderes, Fremdes ist. Aus den Erfahrungen des Schreibens lernt man, dass der Prozess des Hervorbringens - und poiesis heißt ja eigentlich machen, hervorbringen - ein geteilter Prozess ist, der sich symbiotisch verbindet. Je nach Gewichtung kommt der Autor oder das Material stärker ins Spiel und bringt sowohl verschiedene Stadien meiner Identität als auch eine ästhetische Form zum Ausdruck. Die Frage, ob die Sprache mich spricht oder ich der Autor bin, der spricht und schreibt, ist an diesem Punkt nicht mehr entscheidend. Erst dadurch entstehen Komplexitäten, die für die Wahrnehmung und die Leser erkenntnisreich und lustvoll zugleich sein können.


Regelwerke

Aus der Tradition der Moderne entwickelten sich Positionen, wie jene der französischen Gruppe Oulipo, die mit speziellen apparativen Regelwerken, Texte herstellen. Wenn Jacques Roubaud kombinatorische Texte mit mathematischen Ordnungen verbindet, um mittels so genannter contraintes (Formzwänge) den Zufall auszuschalten, entstehen Regelwerke, die wie Sprachmaschinen funktionieren. Der Autor agiert dabei als eine Art Ingenieur. Georges Perec schrieb beispielsweise einen Roman ohne den Buchstaben „e“ oder Raymond Queneau „Hunderttausend Milliarden Gedichte“ (frz.: Cent Mille Milliards de Poèmes), ein experimentelles Ensemble von Sonetten, das durch Zerschneiden und Falten immer neue Verse generiert. Der maschinelle Aspekt der Sprache wird stark betont, wobei die Sprachmaschine eine vom Autor über Regeln und Algorithmen selbst konstruierte ist. Die Sprachmaschine besitzt folglich eine Doppelstruktur, die eingangs erwähnte der Alltagssprache, die aus uns automatisch spricht und jene der Kunst und Dichtung. Wir haben es mit zwei unterschiedlichen Sprachdämonen zu tun, die ich in meiner Arbeit untersuche und zum Teil in einen Dialog setze. Das Entwerfen poetischer Sprachmaschinen ist, oder war mir zumindest als Vorstellung oder Idee doch sehr nah, da es in Wien eine große Tradition gibt, die vom Wiener Kreis über die Wiener Gruppe bis in die Gegenwart reicht. Der philosophisch wesentliche Kopf der Wiener Gruppe, Oswald Wiener, versuchte Bewusstsein über Maschinen und Künstliche Intelligenz zu erklären. Er formulierte bereits vor Jahrzehnten Fragen zum freien Willen, die erst heute auf breiter Ebene debattiert werden. In seinem Text „die verbesserung von mittelauropa, roman“ und dem darin vorgestellten „bio-adapter“ geht es um die Maschinenhaftigkeit von Bewusstsein, Sinn und Bedeutung, die sich bei Wiener letztlich auf Regeln und Programme zurückführen lassen. Als Dichter gehe ich, bescheiden, na ja, einen Schritt zurück und vergleiche in meiner Arbeit verschiedene eher poetologische als wissenschaftliche Ansätze, aber ich stehe dieser Tradition des Durchleuchtens, auch dessen, was ich selber mache, wie gesagt, nah.. Die Frage ist: schreiben wir frei und ist Sprache ein unabhängiges Medium freier Erkenntnis oder sind wir Werkzeug der Sprache? Diese Fragen sind immer auch Teile des Schreibprozesses, denn der Schreibakt ist ursächlich mit der Problematik des Verstehens verbunden. Eine Maschine versteht ohne Bewusstsein perfekt, denn sie lässt das, was sie nicht versteht, einfach weg. Das ist eine sehr reine und entschlossene Form, die mich irritiert, weil sie mir die künstlerischen Mittel der Fehlersetzung aus der Hand nimmt. Es gibt viele Arten des Schreibens und Sprechens, aber vereinfacht drei: erstens die gebräuchlichste, bei der das Unbewusste der Sprache und ihre Konventionen im Vordergrund stehen, zweitens jene u.a. von Oulipo, wo die Sprache als Maschine und Welt erzeugender Mechanismus aufgrund vom Autor selbst gesetzter Regeln in Betrieb genommen wird und drittens jene, wo ich als Autor eine komplexe Gestalt (das Gedicht, den Roman ...) baue und die Sprache in Gang setze, um wiederum die eigenen und fremden Regeln und Mechanismen, die ich selber aufgebaut habe, zu stören und zu hinterfragen. Da ich auf den Begriff des Rauschens aus bin, möchte ich die Regeln brechen, um neue zu finden oder die „falschen“ Automatismen in mir, die vielleicht mit mir mehr zu tun haben, als die „richtigen“, zu erkennen. Dies ist alles auf einer mechanischen reinen und einer geistig stolpernden Ebene gedacht, und es eröffnet so neue Felder und Freiheitsgrade. Zwischen Reinheit im Sinne des klaren Sprechens und Rauschen muss nicht zwingend ein Widerspruch liegen. Denken wir an den Film „Geheul für Sade“ (Hurlements en faveur de Sade, 1952) von Guy Deboir, der wie John Cages multiklangliche Elemente aus Rauschen und Flimmern besteht. Auch wenn wir vordergründig nur Rauschen wahrnehmen, sind diese Werke von einer tiefen Reinheit geprägt. Und da sind wir beim Engelhaften des Daimons, wo sich die Klarheit wortlogisch durch eine mathematische Formel wie bei Frege ausdrücken lässt und dennoch Rauschen bleibt. Der Daimon steht also in seiner Doppelstruktur als Bote und Botschaft für unterschiedliche Systeme von Ordnung und Unordnung. In der Mathematik gibt es die Schulen von Hilbert und Gödel, die mathematische Erkenntnis gleichsam als sprachbedingt oder sprachfrei betrachten. Wie in der Vorstellung von Humboldt kann Welt nur durch Sprache erfasst werden. Dagegen stellt sich der Ansatz, dass Vernunft sprachlos ist. Mich interessieren beide Haltungen, in der Lektüre, aber auch in der Anwendung auf ein künstlerisches Forschen hin.


Bewusstseinsdunkelheit

Als Autor befinde ich mich auch in einem Dialog mit Regelwerken, und wenn man Regelwerke modernistisch und kybernetisch als Dämonen bezeichnet, befinde ich mich in einem Dialog auch mit diesen. Allerdings geschieht dies nicht okkultistisch, sondern poetisch. Das heißt, der Autor erfüllt nicht nur die Regeln der Sprachmaschine oder entwirft neue, sondern er begibt sich auf eine Metaebene, die er im Trext mitrefletiert. Dieser emergente Sprung ist notwendig, denn nur so können analytische und metaphysische Verfahren abseits einer postmodernen Verglitterung parallel untersucht und angewandt werden. Das eröffnet die Möglichkeit, andere Positionen einzubeziehen und vertraute permanent in Frage zu stellen. Zwar setzt diese Methode klassische Programme der Moderne fort, aber nicht im Sinne einer fortschrittsideologisierten Avantgarde. Unabhängig davon kann die Empfindungs- und Bewusstseinsdunkelheit eine abgrundklare Schönheit bergen, die mit der regelkonstruierten Sprachapparatur allein nicht zu produzieren gelingt, egal wie man sie in Gang setzt. In einem Gedicht beispielsweise, das sowohl die rhetorischen Kriterien und den Formenkanon eines Gedichts erfüllt als auch überschreitet und verletzt, stecken intentional diese Fragen nicht alleine als theoretisches Konstrukt, sondern bilden einen angewandten Aspekt dichterischer Arbeit. Das Changierende, Prozessuale des Schreibens ermöglicht, mich sowohl als Beobachter einzuschleusen und gleichzeitig die Beobachterrolle im Sinne des blinden Flecks zu durchbrechen. Als Autor kann man sich selbst nur über die Schulter schauen, indem man die Regeln verletzt und gezwungen wird, eine andere Perspektive einzunehmen. Blickt man anstatt von links nach rechts, von unten nach oben auf den Text, stellen sich nicht unmittelbar neue mathematisch formalisierbare Erkenntnisse ein, wie es vielleicht Oswald Wiener verlangen würde, aber aufgrund des Changierens, das auch in den Buchstaben stecken kann – „rinks und lechts, das kann man nicht verwechsern“ – ergeben sich vorher noch nicht so dargestellte Repräsentationen, eben aus Relationen durch Präsentation. Wenn ich beispielsweise ein Gedicht mit dem Titel Butter schreibe, dann laufen bildlich wie wörtliche Automatismen und Vorgänge ab und setzen sich verschiedene ästhetische Kriterien in Gang. Der Titel gibt den Kontext vor, aber sobald Butter nicht im Titel steht, stellt sich die Frage, ob die Leserschaft überhaupt erkennt, dass es sich um eine Speise handelt. Mallarmé legte Freunden einen Text ohne Titel vor und fragte, um was es geht. Die einen antworteten ein Herz, die anderen ein Baum. Mallarmé aber sagte nein, es geht um eine Kommode. Das Entscheidende für Mallarmé war nicht semantische Eckpfeiler zu setzen und das Gedicht dazwischen fest zu positionieren. Es ging ihm auch nicht darum, semantische Gemeinplätze neu darzustellen und rein ästhetische Erfahrungen auszulösen, sondern die Beziehungen zwischen den einzelnen Strukturen aufleuchten zu lassen und somit Beziehungen herzustellen, die noch nie erfahrbar waren, auch im sozial-ökonomischen Feld. Das mindert aber die Bedeutung des Titels keineswegs, er steuert denn doch das Verstehen mit, aber die erwartete semantische Zuordnung tritt insgesamt in den Hintergrund oder wird umgepolt. Das ist keine Revolution, aber eine Art Rebellion.


Der Daimon zwischen Medium und Programm

Im Prozessualen schaukeln sich interessante Komplexitäten hoch, die etwas Dämonisches bzw. besser „Daimonisches“ haben, denn der Daimon ist in der griechischen Mythologie und bei Platon ein Bote oder Zwischenwesen, das zwischen Formen bzw. Ideen und den Menschen vermittelt. Der Daimon ist folglich gleichzeitig Medium und Inhalt bzw. Programm. Er ist Medium im Sinne der Übermittlung und Programm im Sinne einer Macht, eines Inhalts oder Information, die sich wiederum eines Menschen als Wirt oder Medium bedient. In der christlichen Theologie spricht Augustinus vom Dämon als gefallenen Engel, als Luftwesen mit einer gewissen geistigen Kraft der Vermittlung und Instanz, die bezogen auf den christlichen Aspekt des Teuflischen eine Verbindung zu dunklen Mächten herstellt und von einem Menschen Besitz ergreift. Der Daimon als gefallener Engel ist sowohl Überbringer einer Information als auch eine Kraft, die materiell inkarniert. Diese Tradition eines zweifachen Wesens reicht bis Searle und dem Geist in der Maschine. In diesem Spannungsfeld begreift sich der Mensch als Wesen unterschiedlicher Schichten und Ordnungen. Ich ist ein anderes oder auch ein zweites, ein drittes, zum Teil etwas Verborgenes, aber auch etwas sehr Klares. Der Begriff Unidualtät trifft diesen Umstand wunderbar. Bei Nietzsche taucht dieses paradoxe Prinzip auf, indem der Mensch in der Dualtiät ein einer ist. Der Begriff Daimon erweist sich genau darin als komplex und brauchbar, indem er nicht eindeutig ist; er beschreibt weder das Gute noch das Böse, weder die Ordnung noch die Unordnung, lässt sich nicht auf Form oder Inhalt reduzieren und lädt sich in unterschiedlichen Kontexten und Zeiten mit unterschiedlichen Bedeutungen auf. Er steht in der katholischen Tradition für das Abtrünnige, das Dunkle, die Versuchung und den Zweifel, in der Tradition der Aufklärung und Moderne für rationale Prozesse wie etwa der Dämon bei Laplace. Und aus diesen Differenzen ergeben sich beunruhigende Wechselwirkungen, denn wenn ein Dämon in der Maschine alles berechnen kann und wie bei Laplace alle Zustände des Universums in der Vergangenheit und Zukunft kalkulierbar macht, hat das etwas Bedrohliches. Aus der Vernunft und der Maschine entspringen daher die dämonischen Mächte seit der Moderne. Für die Literatur bedeutet dies, dass sobald eine umfassende Regel in der Lage ist, Sprache zu beherrschen, der Autor nicht mehr selbst Texte zu schreiben braucht, sondern nur noch als eine Art Meta-Autor Rahmenbedingungen für die Regeln und Software bestimmt. Nach Oswald Wiener heißt verstehen, eine Regel finden und sofern diese Regel auf einer Turingmaschine läuft, generiert sich ein Dämon, der einen bestimmten Weltzustand - sei es in Form einer Wettervorschau oder eines literarischen Textes - produziert. Früher wären der Nihilismus und das Dämonische in den dunklen Wäldern zu finden gewesen, wo Gott tot ist und die Barbaren wohnen. Heute spricht man vom Nihilismus der Transparenz, denn das Klare erweist sich als scheinheilig Reine und das Transparente hat sich zu dem gewandelt, was wir früher katholizistisch als das Dämonische beschrieben haben. Das Scheinheilige liegt also auch im Schein und Glanz der Medien, den die Protagonisten weder begreifen noch einsehen wollen und können, da es nicht um Erkenntnis und utopische Erneuerung, sondern um Machterhalt geht. Insofern ist das dunkle Dämonische heute das gleißende Scheinwerferlicht der nihilistischen Transparenz, der eigentliche blinde Fleck der anderen Macht in und über uns.


Schwerelosigkeit

Arthur Rimbaud hat während des Schreibens vermutlich nicht theoretisch gedacht und er wäre am Klaren und Luziden im hier gebrauchten Sinn nicht interessiert gewesen. Er war von einer Art Besessenheit ergriffen, die ihn in einen Zustand des Erfasstseins versetzte und ihm tiefe Einsichten in die Ordnung der Dinge gewährte. Das betrifft aber nicht nur Rimbaud, sondern begegnet uns beispielsweise auch in der russischen Volks- und Liedkunst, die meist mündlich übertragen wird. Roman Jakobson hat dies untersucht und ist auf überraschende Gesetzmäßigkeiten der Vokalverteilung gekommen, das heißt auf ein daimonisches Prinzip der Ordnung. Obgleich die Texte mündlich tradiert werden, also einem nietzscheanisch-dionysischen Prinzip der Unordnung des Gesprochenen unterliegen, bleibt die Struktur über Generationen erhalten. Parallel stieß Jakobson bei der Analyse der Gedichte von Welimir Chlebnikow auf eine ähnliche Struktur. Chlebnikow hat als Dichter bewusst eine neologistische Sprache, eine „Soundsprache“ entwickelt, die ebenfalls eine Art Daimon war, der zwischen Ordnung und Chaos ein schwebendes Dazwischen einnahm und dennoch das bewusste Setzen von Vokalen und Silbenfolgen erlaubte. Chlebnikow ging dabei nicht kanonisch rhetorisch wie die Barockdichter vor, die erstmals Regeln und rhetorische Figuren in den Vordergrund rückten. Anders wie später Oulipo oder auch Oskar Pastior, der barocke Formen wie Sonett, Anagramm oder Akrostichon wiederentdeckte, schaffte er einen Zustand der Schwerelosigkeit, der das Chaotische in die Ordnung und die reinen Regeln ins Rauschen überführte. Mit Pastior diskutierte ich, ob der Glaube an die sprachliche Materialität an seine Grenzen stößt. Werden nach bestimmten Regeln und Verfahren Vokale geordnet, erhalten die Buchstaben von A bis Z eine spezifisch Welt konstituierendes Gewicht und diese Gewichtung allein gibt vor, was der Autor zu schreiben hat. Textlich kann sich daraus eine phantastische Form ergeben, aber die Möglichkeit des Autors inhaltlich zu arbeiten, ist eingeschränkt. Wo liegt hier der Erkenntnisgewinn? Das Einbringen von Inhalt und Botschaft in Texte muss nicht automatisch konservativ sein, progressiv wird es aber erst, wenn sich diese Botschaft aus dem Prozess der Werkbildung heraus entwickelt und so die Einbindung anderer Erfahrungsmomente ermöglicht, die etwa das dialogische Verhältnis von Bild und Wort stärker als die Regel des Wortes zur Textmaschine betonen.


Bild und Handlung

Bilder evozieren Automatismen der Wahrnehmung, die wiederum Wörter wachrufen, und umgekehrt assoziieren wir über Wörter Bilder. Obgleich Bildwissenschaft und Bildhandlung vermehrt im Gespräch sind, wurde mir bei einigen Buchbesprechungen vorgeworfen, ich würde im Roman „Durchleuchtung“ nur Bilder schreiben. Das ist für mich ein Kompliment, denn diese Art der Untersuchung von Wahrnehmungsverhältnissen, die nicht nur im Inneren liegen, sondern auch von außen über die Sprache und über bildgebende Verfahren zu erfahren sind, ist ein essentielles Thema. Bei Freud gibt es Wortvorstellungen und Sachvorstellungen. Wenn ich schreibe, stelle ich mir das Wort bildlich vor; ich sehe Wörter, die sofort ein Bild erzeugen, aber ich sehe auch das Wort in seinne Bestandteilen, den Buchstaben vor mir. Damit füllt sich bildwörtlich der Schreibtisch und es entstehen neue Beziehungen zwischen Dingen, Bildern und Wörtern. Wie Lacan sagte, liegt alles am Tisch, man muss nur hinsehen und die Signifikanten verbinden. Das ist daimonisch im modernen aufgeklärten Sinn des Luziden, aber auch dämonisch im Sinne der Bewusstseinsdunkelheit. Vielleicht klingt es im ersten Moment mythisch, doch wir brauchen nicht alles rational verstehen. Es gibt eine wortlose Erkenntnis, die nicht zuletzt der bildenden Kunst nahe steht, wo es Arbeiten gibt, die aufgrund einer Übersetzung in Worte banal werden oder ihren Sinn verlieren. Entscheidend ist, dass das Verhältnis der auftauchenden Objekte in Bezug auf ihre Funktion im Kontext des Erwartungshorizonts gestört wird. Damit meine ich nicht nur eine Verschiebung von Objekten ins Museum wie bei Duchamp, sondern literarisch gesprochen Vermischungen von Metapher und Metonymie, die zu einer Störung konventioneller Handlungen führen und neue Handlungskontexte erschließen. Während die Metapher ein vergleichendes Sinnbild ist, zielt das Metonymische auf den Satzbau, das heißt, die Metapher tauscht aus und die Metonymie kombiniert. Jakobson sagte, die entscheidende Literatur ist die der Projektion der Metapher auf die Metonymie. Ich drehe das auch in meine Rezeption von Kunstwerken weiter, weshalb mir die Nähe nicht nur zur konzeptuellen Kunst gegeben ist. In diversen Hybriden aus Wort und Bild stecken Handlungen, die zu neuen Funktionen und Vermittlungen führen, etwa zwischen dem Metaphysischen und technisch-naturwissenschaftlichen Bereichen. Dieses Hybride des Daimonischen, das zwischen Materialität des Wortes und der Geistigkeit des Bildes und umgekehrt vermittelt, fasziniert mich und geht einen Schritt weiter als das Daimonische im Sinne der Festlegung und Kontrolle von und durch Regelapparaturen. Im metaphorisch-metonymischen Werk der Verfransung ergeben sich Vielschichtigkeiten, die sich untereinander verknüpfen und gleichzeitig einen neuen Blick auch auf die gesellschaftliche Bedingheit künstlerischer Produktion freigeben. Bei Nietzsche ist wie gesagt der Dämon das Ungeheure, Wilde und unsere Sprache nichts anderes als ein bewegliches Heer von Metaphern. Die Arbeit an der Metapher ist daher notwendig, um zu einem ganz anderen Verhältnis zwischen Sprache und Alltag zu gelangen. Bei Nietzsche bedeutet das Ungeheure aber nicht nur eine Art von Wildheit, sondern auch die Suche, ja den Willen nach und zur Ordnung. Die Ordnung ist eine Grenze, die wie in Zarathustra immer von wilden Überschreitungen gekennzeichnet ist, dem Dionysischen und gleichzeitig eine Zähmung desselben im Sinn eines neuen Strukturaufbaus zu erreichen sucht. Genau diese Grenze ist das Untersuchungsfeld für die Kunst und in der Kunst.


Ingenium

Beim Schreiben habe ich eine Form im Kopf, die dem jeweiligen Inhalt entspricht oder die sich beim Schreiben herausbildet. Obgleich ich überzeugt bin, dass ich nach Regeln oder Gesetzen schreibe, schreibt es sich auch in mir: Die Methode ist Phantom und das Phantom ist Methode. Die Überführung von Inhalten in die materielle Form der Sprache ist ein wechselseitiger Prozess. Sprachlich haben wir keine Atome wie in der Physik oder Moleküle wie in der Chemie, aber wir haben Buchstaben. Durch diese Vorstellung der Materialität kommt es zu Bedeutungsaufladungen der Buchstaben. Wenn ich Buchstaben sehe, lese ich einen Inhalt, der auch völlig überraschend sein kann. Ich lese beispielsweise die Buchstaben LEBEN im Sinne eines alltäglichen und banalen Begriffs, sehe aber plötzlich ein Palindrom oder Anagramm und lese NEBEL. Nebel wird zu einer buchstäblichen Erfahrung meines Lebens, die von einer ingenieurhaften Beobachtung gewisser Stoffe, Buchstaben, Wörter usw. ausgeht, die gleichsam chemisch neu zusammengesetzt werden. Im Barock findet sich der Begriff Ingenium, wie ihn Octavia Paz herausgearbeitet hat: ingenium und concepto sind die Begriffe, um die es geht. Im Wort Ingenium steckt Ingenieur und in ihm steckt auch Genie – der römische Daimon –, der sich heute in den Wort- und Bildfabriken manifestiert und verselbständigt hat. Als Autor stört mich aber genau diese Art der Manifestation und Verselbständigung, da das Buch zu einem objekthaften Produkt im Sinne einer Verdinglichung des Geistes wird. Natürlich vollzieht sich die Materialisierung unwillkürlich im Schreibakt, aber sie befriedigt letztlich nicht und darum sucht man nach neuen Formen und überschreitenden Verbindungen zu anderen Medien. Verfransung ist das entscheidende Prinzip, da ein Medium immer zu einem anderen drängt, und nur so kristallisiert sich das Hauptmedium heraus. Das Buch wäre das Hauptmedium, aber der Weg dazwischen geht durch alle Fabriken des Ingeniums und der Offenbarung. Auf Bruno Latour bezogen könnte man sagen, dass die Welt nicht nur Text und der Text nicht nur Welt ist, sondern dass es einen Dialog benötigt. Wir schauen nicht nur auf die materialisierten Textwesen und erkennen die Türschwelle als Allegorie des Portiers, sondern begreifen, dass die Schwelle zu uns spricht. Das verdeutlicht uns die Übergänge, ohne unwillkürlich einen fetischisierenden Umgang mit den Dingen herbeizurufen. Die Dinge werden nicht alleine über ihren Gebrauch, sondern vor allem über ihre Bezüge zur Welt und zur Sprache verständlich. Sie besitzen eine Art Eigenleben und senden Botschaften aus. Deswegen befinden wir uns in einem Dialog mit den Dingen und die Dinge sprechen zu uns. Beim Betrachten von Kunst ist uns das selbstverständlich und deine Arbeiten führen dies auch explizit vor, dass in den Objekten immer auch ein Ingenium, ein Text, eine Handlungsanweisung oder wie du sagst, ein Daimon steckt.

Einzelnachweise

  1. Das Gespräch zwischen Thomas Feuerstein und Ferdinand Schmatz fand im Oktober 2011 in Wien statt.