Internet der Dinge

Aus Daimon

(pch) Das Internet der Dinge, a.k.a. IoT (Internet of Things), verdient trotz seiner Nähe zum Animismus einen eigenen Eintrag in diesem Thesaurus. Nicht zuletzt die provokativ prophetischen Texte von Daniel Miessler, einem vielbeachteten Fachmann auf dem Gebiet der Informationssicherheit, sollen im Folgenden dafür einstehen. Sein Buch The Real Internet of Things erschien 2017, im Blog des Autors finden sich vorbereitende Studien.

Wir lesen Universal Deamonization is the Future of the Internet and the Internet of Things (2015) ein wenig quer, übergehen technische Details der Implementation und springen zur Kernidee, zur Universalen Dämonisierung. Das IoT ist nicht einfach, wie bislang das Internet, die Vernetzung von Geräten im Dienst der zwischenmenschlichen Kommunikation; Weiters erschöpft es sich weder darin, dass von nun an Gebrauchsgegenstände einander Schaltbefehle schicken, noch darin, dass ihre Schaltzustände mittlerweile aus der Entfernung ablesbar geworden sind. Das IoT wird vielmehr dazu führen, dass Dinge wie Menschen als Repräsentationen ihrer selbst in einem digitalen Netzwerk miteinander in vielfältiger Art interagieren, auf gewisse Weise also, nota bene, einander gleichberechtigt gegenüberstehen.

Vorweg gibt das Wort Repräsentationen freilich einiges, wenn nicht alles preis: Das Szenario beschreibt die Verdoppelung von Welt. Eine auf Vernunft bauende Analyse würde im nächsten Schritt nach dem cui bono fragen: "Wer profitiert davon?" Die Antwort ließe sich aus der Parteizugehörigkeit der fragenden Person ebenso vorhersehbar ableiten wie das Amen aus dem Gebet. Miessler dagegen begnügt sich mit der Feststellung, dass die Prognose nicht seinem eigenen Wunsch entspringt, wie es denn werden solle, sondern der Unausweichlichkeit einer, den von ihm beobachteten Ereignissen innewohnenden Tendenz. Wenn das nun nicht vernünftig klingt, was dann?

Im Einzelnen erscheinen die visionierten Fähigkeiten des IoT ohnehin nicht so spektakulär, eher wie Extrapolationen von in Ansätzen teils schon Verwirklichtem. Da ist es gut denkbar, dass das IoT, soll heißen, was Miessler darunter versteht, in vielen kleinen Schritten quasi von selbst entsteht, ohne dass dazu auch nur irgendwer von der Gesamtheit eine Vorstellung bräuchte; ein blinder Prozess, wie die Evolution des Lebens. Nachgerade die behauptete Gesamtheit sprengt dann aber doch zumindest meinen Horizont. Zurück bleibt ein starker Verdacht auf Metaphysik. Miesslers Spekulation bleibt trotzdem interessant, weil er die Position der aufs Extreme getriebenen Fortschrittlichkeit einnimmt und wohl auch, weil sein Gebrauch des Wortes Dämon sich stark mit in diesem Thesaurus vertretenen Auffassungen überschneidet; also weiter im Text.

Mangels einer genauen Verortung nenne ich das IoT kurzerhand eine Sphäre der Dämonen. Mathematisch gesprochen ist es einerseits Abbildungsmenge: Jedes Objekt der physischen Welt, was auch immer das heißen mag, wird darin, sofern jemand sich die Mühe macht, dargestellt, man kann auch sagen, wiederholt. Die Besonderheit besteht darin, dass die Elemente dieser Menge, die sogenannten Dämonen, allesamt maschinenlesbar sind und sich gegenseitig befragen und einander Aufträge erteilen können. Ein weiterer Clou der Sache besteht darin, dass die Abbildung auf Basis der Identität funktioniert, sodass wir vom IoT und den physischen Dingen selbst, uns inbegriffen, als zwei Seiten einer Münze sprechen können: Mein Dämon und Ich sind untrennbar verbunden, sind fungibel; Etwas, das wenige von einer Aussage wie Mein Bundeskanzler und Ich behaupten werden, obwohl sich das zwar pro forma in der repräsentativen Demokratie ebenso verhält, realiter aber Nicht-Identität und Differenz von ernsthaft verstandener Öffentlichkeit meines Erachtens nicht wegzudenken sind.

Somit leuchtet ein, was sowohl die Lust am als auch die Furcht vor dem IoT ausmacht. Die Austauschbarkeit der Agenten verwandelt das Leben in eine italienische Verwechslungskomödie aus den Fünfzigern; man bleibt privat, man genießt die Missverständnisse, solange sie zum eigenen Vorteil ausfallen. Die Versprechungen sind gewaltig: Ich bin das Higgs-Boson werden jeder und jede von sich sagen können: Wo immer ich geh, wo immer ich steh, alles sich um mich dreh': Von der Klimaanlage über die Webcam an der Decke bis zum Roboter in der Küche; Alles stets um mich besorgt, darauf aus, es mir recht zu machen. Die angeführten Beispiele sind banal, aber es sind ja auch nur Beispiele. Die Auswirkungen werden nicht trivial werden, eine Warnung, auf was man dabei ist sich einzulassen, jedenfalls angebracht; wohlweislich, ohne gleich alles verteufeln zu wollen, ändern lässt sich daran eh nichts. So oder ähnlich sieht dies jedenfalls Miessler, und dem gibt es nicht viel hinzuzufügen.

PS: Das hätte dieser Aufsatz auch schon gewesen sein können; zur Draufgabe noch aus erster Hand Bericht von einem Selbstversuch der Bemessung des Stands der Dämonisierung. Nicht unerwartet spielen Computer dabei eine Vorreiterrolle, sie bringen die nötige Informationstechnologie per se mit. Wenn man also aktuell (Winter 2017/18) zum Beispiel ein neu gekauftes Laptop in Betrieb nimmt wird man von einer angeblich auf Zurufe reagierenden Stimme begrüßt, die sich anbietet, die ersten Schritte der Konfiguration assistierend zu begleiten; teils vorgefertigte Bandzuspielungen, teils Sprachsynthese, beides von ausgezeichneter Qualität. Recht bald wird man um eine E-Mail Adresse gefragt. Wenn man keine hat, wird einem die Möglichkeit geboten, eine neu zu erstellen. Es gibt keine offensichtliche Möglichkeit diese Eingabe zu überspringen. (Es gibt eine versteckte.) Das Ding lässt sich nicht in Betrieb nehmen, ohne, ganz im Sinne des Vorhin gesagten, seinen Dämon mit dem meinen bekannt zu machen. Wie auch soll es mir dienen, wenn es nicht weiß, mit wem es zu tun hat? Insgesamt dauerte dieses Kennenlernen ein wenig lange -- ein schwarzer Bildschirm mit der Aufschrift: "Windows wird angepasst, schalten Sie das Gerät nicht aus" nahm sich viel Zeit während der das Gerät nicht zu gebrauchen war -- und das Ergebnis fiel nicht berauschend aus: Vorgesetzt wurden mir im Anschluss über die Grundausstattung hinaus die üblichen Angebote zahlender Partner und Werbung in eigener Sache der Hersteller von Gerät und Betriebssystem.

Möglicherweise wären meine Präferenzen tatsächlich berücksichtigt worden -- vielleicht auch erst bei der zweiten, dritten oder vierten Inbetriebnahme eines solchen Gerätes, wobei ich davon ausgehe, dass das nie mehr als nur partiell so sein wird -- wenn ich mich mit Adresse in ein Verzeichnis, nennen wir es das globale active directory, hätte eintragen lassen. Unter Umständen muss nämlich erst ein maschinenlesbares Dossier über mich angelegt, soll heißen, ein neuronales Netz auf mich trainiert werden; nicht zuletzt wohl auch unter Verwendung der in den Jahren der Nutzung ausgiebig erhobenen Telemetriedaten oder der allerorten, DSGVO hin oder her, mein Navigieren registrierenden tracking devices. Kontinuität ist für die Qualität der Voraussagen von entscheidender Bedeutung. Eine bekannte sogenannte "Suchmaschine" scheint mir damit ein Stück voraus, und führt dem Anschein nach, wenn derzeit noch kein neuronales Netz, so zumindest ein ganz passables hidden markov model, das beim Tippen in der Suchmaske oft nach zwei, drei Anschlägen schon richtig den beabsichtigten Ausdruck vorschlägt und dazu offenbar eine ganze Reihe von Umständen berücksichtigt. Perfekt wird mein digitaler Widerpart, wenn beim Aufschlagen der Seite der Ausdruck schon im Formular steht. Verdinglichung, hat es nicht einmal so geheißen?