Kunst der Dämonen
Aus Daimon
Kunst der Dämonen
Auszüge aus einem Gespräch mit Thomas Feuerstein[1]
Demokratisierungsprozesse der Kunst
In der Kunst findet ein Paradigmenwandel statt, der noch nicht ins allgemeine Bewusstsein vorgedrungen ist. Es dominiert nach wie vor eine Überbewertung der Malerei, da man sich über Jahrtausende an Speichermedien gewöhnt hat, auf denen materialisierte Daten versammelt werden. Von dieser Dominanz abzuweichen ist langwierig und schwierig, weil die Verteidigung eines Monopols auf dem Spiel steht. Das Monopol hat traditionell darin bestanden, dass eine bestimmte Klasse von Experten - die Maler - Werkzeuge und Materialien kontrollierten, mit denen sie Bilder herstellen konnten. Diese Klasse von Experten beherrschte über Epochen die Bildproduktion und stand der feudalen Klasse nahe. Maler stellten Bilder für die Mächtigen her, zuerst für geistige und weltliche Feudalsysteme, später für das reiche Bürgertum. Diese verhängnisvolle Allianz zerbricht nun. Mit der Entwicklung technischer Medien wurde ein Demokratisierungsprozess der Kunst eingeleitet. Die Fotografie ermöglichte plötzlich jedem, ein Bild zu machen und von sich selbst ein Bild zu besitzen, was früher das Privileg von Adeligen und Fürsten war. Dieser Verlust des Monopols führt dazu, dass die Maler an Kontrolle und Macht verlieren und einen Kastrationskomplex erleiden. Aus diesem Grund haben sie begonnen, die neuen Bildformen zu attackieren. Diese Phase hält bis heute an, das Ende ist allerdings absehbar. Die Verbündeten kommen weniger aus der Kunst als aus der Wissenschaft. Die Wissenschaft nutzt technische Apparate zur Bildherstellung, denn ohne diese Bildgebungsverfahren könnte sie nicht überleben und sich nicht entwickeln. Folglich gibt es hier eine neue Klasse von Leuten, die zwar nicht mehr Künstler sind, aber dennoch völlig neuartige Bilder hervorbringen. Die Kunst wurde gespalten in traditionelle Künstler und Medienkünstler, die neue Bildformen weiterzuentwickeln versuchen. Der entstandene Bruch ist nicht nur ästhetischer, er ist auch sozialer Art. Es kann nicht nur jeder ein Bild machen, es kann auch jeder jedem dieses Bild übermitteln. Bisher war die Vermittlung und Verteilung von Verlagen, Galerien oder Museen kontrolliert, doch nun fällt neben dem Produktionsmonopol auch das Distributionsmonopol. Die Leute können ohne Instanzen und Institutionen über das Netz Bilder und Informationen verbreiten, womit die über Jahrtausende aufgebaute Hierarchie gewissermaßen hinfällig wird. Klarerweise gibt es wie bei jeder Revolution Versuche, überkommene Monopole und Privilegien aufrechtzuerhalten. Es treten Leute und Institutionen auf, die diese neuen Formen deformieren und aus Hilflosigkeit behaupten, dies sei keine Kunst. Diese Mechanismen sind alt, wir kennen sie seit dem Auftauchen der Fotografie und da sie sich wiederholen, nützen sie sich zunehmend ab. Wir stehen derzeit vor einem wirklichen Bruch, ausgelöst einerseits durch dieselbe ermüdende Argumentation, die bei jeder Innovation wiederkehrt und ihre Glaubwürdigkeit einbüßt, andererseits durch eine bevorstehende Materialrevolution. Am allerwenigsten wird dies in Österreich oder Deutschland erkannt, wo wenig an Materialien geforscht wird. Sobald völlig neue Materialien zur Verfügung stehen, wird es möglich sein, neue Formen der Verschmelzung zwischen Hardware und Software zu erzielen. Dadurch wird das Bild, das lange in einem sakralen Zusammenhang stand und durch eine fatale Komplizenschaft mit König, Kaiser, Bischof usw. geprägt war, weiter säkularisiert werden. Bis heute besteht eine gewisse Ehrfurcht vor Bildern; jeder ist stolz, wenn er sagen kann, ich habe dieses Bild gemacht beziehungsweise das Bild zeigt mich. Diese Funktion des Bildes wird verschwinden und der Fetisch- und Auracharakter wird für immer verloren gehen. Malerei wird endgültig zu einem antiquierten Altersgegenstand werden und Kunst wird es insgesamt schwer haben für Bilder eine Akzeptanz zu finden, die diesen alten Ansprüchen verpflichtet sind.
Postbiologische Kunst
In der Theorie sprechen wir von lebensähnlichen Bildern, die sich nach ihren eigenen Gesetzen verändern. Dabei handelt es sich nicht mehr um klassische Bilder, sondern um dynamische postbiologische Systeme. Sie benehmen sich wie biologische Systeme, da sie aber künstlich gemacht wurden, bilden sie eine neue Kategorie. Diese Bilder werden prospektiv zu künstlichen Kreaturen, die Eigenschaften des Lebendigen und Intelligenten wie Vermehrung oder Sprache besitzen. Selbst der Kunsthistoriker W.T.J. Mitchell spricht von Bildern, die einen kannibalisch Fleisch fressenden Charakter haben werden. Das sind Science-fiction-Ideen, aber Bilder werden als Datensätze mit entsprechender Software ein eigenes Leben in Richtung von intelligenten Gegenständen ausbilden. Diese Bilder werden nicht nur repräsentieren, sie werden mehr sein als bloße Zeichen, sie werden dynamisch und interaktiv sein. Sie werden weniger sein als echte biologische Wesen, sie werden etwas dazwischen sein: mehr als ein Zeichen, aber weniger als ein Lebewesen.
Die algorithmische Revolution
Das noch ungelöste Problem liegt im Charakter des Algorithmischen beziehungsweise im Umstand, dass wir uns nicht im Klaren sind, welchen Stellenwert algorithmische Prozesse in künstlerischen Werken einnehmen. Die Moderne ist der Ausdruck dieser Krise. Bisher hat man gesagt, die Moderne ist Ausdruck der Krise der Repräsentation, weil die Maler sich geweigert haben, die Welt abzubilden. Die entscheidende Krise wurde jedoch durch Marcel Duchamp ausgelöst, der einen Schritt weiter ging und das Abbildungsverbot durchsetzte, indem er den Gegenstand einführte. Seine Lösung verweigerte sich der Abbildung der Gegenstandswelt, allerdings nicht à la Malewitsch, sondern indem er konsequenterweise die Gegenstände pur zeigte. Die Kunsttheorie der Moderne hat übersehen, dass in Wirklichkeit nicht die Gegenstandswelt verbannt wurde, sondern lediglich die Abbildung. Im Gegenteil, die Gegenstandswelt wurde willkommen geheißen wie nie zuvor. Bis zu diesem Zeitpunkt der Kunstgeschichte hatte die Gegenstandswelt nie Zutritt und wenn, nur in der Wunderkammer. Duchamp ist der Künstler ohne Werk, weil er einen existierenden Gegenstand genommen und ihn in Form des Ready-made zur Kunst erklärt hat. Er präsentierte banale industrielle Gegenstände, die im Grunde frühe prototypische Algorithmen der Kunst darstellten. Die Gegenstände waren an bestimmte Regelwerke gekoppelt, aber das Werk an sich hat gefehlt. Die Programmierung, die Software standen erstmals im Vordergrund, was Duchamp zum Begründer der Konzeptkunst macht. Seine Arbeiten sind Handlungsanweisungen, die besagen: schaut auf dieses Ready-made, es ist vergleichbar einer Plastik, aber es ist perfekter als eine Skulptur von Brancusi. Das Werk tritt in den Hintergrund und an dessen Stelle setzen sich die Idee und das Konzept. In dieser Janusköpfigkeit, die einerseits die Abbildung der gegenständlichen Welt zu verbieten und andererseits den Gegenstand als Objekt in die Kunst zu holen trachtet, liegt der Schmerz der Moderne, den wir bis heute nicht überwunden haben. Rückblickend hat sich die Moderne dadurch stark verändert. Sie musste sich neu legitimieren, etwa durch historische Rückverweise, indem man den Impressionismus hoch lobte und ihm den Stellenwert gab, den er heute genießt. Obgleich Duchamp gegen retinale Malerei war, wurde gerade durch das Ready-made der Impressionismus aufgewertet. Jene Leute, die Duchamp ablehnen, den Impressionismus aber schätzen, verdanken paradoxerweise den Ready-mades ihren Zugang zur Moderne, da diese die Auflösung der Perspektive und der handwerklichen Fähigkeit konzeptuell legitimierten. Insofern kann man deutlich voraussehen, dass sobald wir uns von der Moderne endgültig verabschiedet haben, sich das Algorithmische gänzlich durchsetzen wird. Die Erfahrungen der Moderne waren eine Passage, nach deren Durchgang der angesprochene Konflikt zu Gunsten des Algorithmischen und gegen das Objekt entschieden werden wird. Es gibt zwar immer wieder Versuche konservativer Gegenkräfte von Jeff Koons bis Damian Hirst, den Gegenstand erneut zu fetischisieren, aber dies sind nur reaktionäre Zwischenspiele. Auch religiöse Kitschkünstler wie Joseph Beuys fallen hier unangenehm auf, der durch die Nähe zum Schamanismus und zu ethnologischen Positionen fälschlicherweise versucht hat, uns mit Objekten der indigenen Völker zu kolonialisieren, wie wir diese zuvor infamerweise kolonialisiert haben. Die konservativen Kräfte nutzen den postkolonialen Blick, um einen westlichen Kunstbegriff auf Gebrauchsgegenstände anderer Kulturen zu übertragen und diese zu Kunstobjekten zu verklären. Dadurch soll das Kunstwerk durch sakrale Techniken reauratisiert werden. Die Strategie, Gegenstände durch religiösen Kitsch aufzupolieren, ist aber heute für jeden, der ein wenig darüber nachdenkt, leicht durchschaubar. Deswegen werden sich auch die konservativen Widersacher damit abfinden und sich von der Moderne verabschieden müssen. Gerade indem man die Idee der Moderne konsequent zu Ende denkt, löst sich die Moderne auf und macht dem Algorithmischen Platz.
Geniale Kunst
Die Propheten dieser Entwicklung, ohne es zu wissen oder zu wollen, sind gerade die Maler. Die Maler behaupten, sie malen nach der Natur und sie sprechen von Kunst als wäre sie Natur, was ideologisch widersprüchlich ist. Nimmt man die Maler ernst, tritt genau das ein, dass sich Kunst wie Natur verselbständigt und sich die Malerei selbst abschafft. Das Wesen der Natur braucht uns nicht; alle Apokalypsen und Prophezeiungen sprechen davon: Ihr Menschen werdet sterben und die Natur wird ohne euch weiterleben. Wenn man das Programm Kunst wie Natur befolgt, wird Kunst eines Tages eine eigene Lebensform sein und uns nicht mehr brauchen. Das ist die Konsequenz der Entwicklung dieses Programms. Sich mit der Natur zu vergleichen, ist die Tiefenstruktur der Kunst seit Jahrtausenden, die das Problem von Mimesis und Repräsentation beinhaltet. Gerade dieses Programm wird dazu führen, dass die Kunst alle Eigenschaften der Natur mimetisch wiederholt. Irgendwann werden die Kunstwerke sagen, wir brauchen weder Künstler noch Publikum, wir entwickeln uns selber fort. Man kann das nur unterstützen, denn bereits Kant meinte, gute Kunst muss den Regeln der Natur folgen, aber da es Kunst ist, darf sie nicht ausschauen wie Natur, ansonsten wäre es keine Kunst. Diesen Widerspruch löste Kant auf Ebene der Begriffe: Es gibt Menschen die Kunst machen, aber indem sie Kunst als Mensch fertigen, folgen sie den Regeln der Natur und deswegen nennt man diese Menschen Genies. Das Genie war eine Hilfskonstruktion, um den theoretischen Widerspruch aufzulösen. In diesem Sinne wird die Kunst in Zukunft nur von Genies gemacht werden. Die Kunstwerke selber und nicht die Künstler sind eines Tages die Genies. Sie machen Kunst aus sich selber, indem sie den Regeln der Natur folgen.
Das Dämonische der Kunst
Die Übertragung informationstheoretischer Begriffe auf die Kunst ist naheliegend und vollkommen legitim, da Kunst immer schon als Ordnungssystem und ästhetisches Regelwerk von Maß, Zahl und Proportion gesehen wurde. Bei molekularen Gleichgewichtssystemen gibt es etwa hypothetische Wesen oder Kreaturen, die Ordnung oder Unordnung stiften. Man muss also fragen, ob Kunst eine ähnliche Funktion hat. In einem berühmten Aufsatz stellte Leo Szillard die Frage, was geschieht mit molekularen entropischen Systemen durch die Eingriffe intelligenter Wesen.[2] Im Sinne guter Kunst, liegt in dieser Frage eine wegweisende Funktion. Derzeit gibt es wenige Künstler, die dem entsprechen, aber es wäre eine Herausforderung, vielleicht das Beste, was heute von Kunst zu erwarten ist. Kunst dürfte nicht länger der Schönheit und dem Markt huldigen, sondern müsste auf die informatisierte Welt reagieren. Sie müsste die Rolle von intelligenten Wesen übernehmen und in die Systeme eingreifen. Die Künstler müssten mit entsprechender Ausbildung algorithmische Prozesse schaffen und diese in Form intelligenter Wesen oder Dämonen in die Ordnungen und Regelsysteme der Gesellschaft eingreifen lassen. Egal ob man von künstlichen Wesen, Dämonen oder wie Jean Baudrillard von Viren spricht, entscheidend ist der Eingriff in Gleichgewichtssysteme, um einerseits mehr Ordnung oder andererseits mehr Unordnung, mehr Redundanz oder mehr Entropie zu schaffen. Je nach Lage und Situation muss man natürlich beurteilen, in welche Richtung die Prozesse verlaufen sollen, ob es mehr Rauschen und Freiheit oder ob es mehr Ordnung und weniger Wahlmöglichkeiten braucht. Vermutlich wird es aber ohnehin so sein, dass Kunstwerke, die sich selbst als postbiologischen Kreaturen hervorbringen, von vornherein diese Intelligenz aufweisen, die die meisten Künstler nicht mitbringen. Das heißt, nicht die Künstler, sondern die Kunstwerke selbst werden als Dämonen und intelligente Wesen diese Fragen entscheiden, indem sie wie in der Natur algorithmisch lebensähnlich operieren. Die Künstler dagegen werden mehr oder minder angepasste Unterhaltungsclowns der Mediengesellschaft sein. Das sieht man jetzt schon, die meisten Künstler tun das, was die Massenmedien von ihnen erwarten. Das sind Erfahrungen, in die ich mich selbst einbeziehen muss, denn vieles der 1960er Jahre, das ich seinerzeit unterstützt habe, wie bestimmte aktionistische performative Praktiken, waren eigentlich nur Vorläufer für Unterhaltungssendungen des Fernsehens. Wenn man sich an die Wand lehnte und sich fragte, wie lange kann ich in dieser Stellung erstarren, so sind das heute beliebte Spiele bei Samstagabendsendungen. Ebenso Andy Warhols Filme, in denen Menschen ihr gesamtes Privatleben ausbreiten, antizipieren Unterhaltungsformate heutiger Fernsehshows. Die Avantgarde hat die scheußlichsten Formen der Massenkultur vorbereitet. Insofern sieht man schon hier die Entwicklung, dass die meisten Künstler Pausenclowns werden. Sie machen das, was die Massen sich wünschen, werden hierfür reichlich belohnt und klarerweise werden sie auch von dieser Masse gefeiert. Wenn Herr Immendorf Sensationen durch Prostitution und Drogen liefert, ist die Bild Zeitung begeistert, weil sie einen Skandal und eine Schlagzeile hat. Und dafür macht sie im Gegenzug mit dem gleichen Immendorf eine Neuausgabe der Bibel. Das ist eine Komplizenschaft, bei der beide Seiten Geld verdienen. Diese Allianz wird das Schicksal der meisten Künstler sein.
Das Unendliche im Endlichen
Das Wesen des Algorithmischen liegt im Paradox, dass mit einer Anzahl an endlichen Regeln und einer endlichen Menge an Elementen, unendliche viele Zeichenketten erzeugt werden können. Nicht unendlich viele Regeln und unendlich viele Elemente generieren unendlich viele Sätze, sondern etwas Finites schafft infinite Zeichenketten. Darin zeigt sich das Rätselhafte am Algorithmischen, das unsere Vorstellungskraft übersteigt. Genau hierfür wurde die Mathematik erfunden, damit wir Erkenntnisse und Ergebnisse erzielen können, die unseren eigenen Horizont übertreffen und über unsere Imagination hinausgehen. In diesem Sinn gibt es kein Jenseits des Dämons. Selbst das Gehirn ist ein endliches System, dem das Unendliche im Endlichen implizit ist. Folglich braucht es das Unendliche nicht, denn wie Cantor in der Mengenlehre sagt, kann das Unendliche aktualisiert werden, ohne dass es an sich existiert. Obgleich wir im endlichen System unseres beschränkten Gehirns operieren, können wir uns die Idee Gottes, das Unendliche und das Jenseits vorstellen. Wir wissen, dass in Wirklichkeit diese Dinge nicht existieren und wir sie nicht benötigen, aber wenn die endlichen Operationen unserer Gehirne das Unendliche im Endlichen aktualisieren, ist dies eine logische Konsequenz des Algorithmischen. Mathematisch lässt sich dies leicht nachweisen und Religion ist in diesem Sinne eine extrem naive und primitive Ausgabe von Mathematik. In der Religion kann ich mir das Unendliche sogar anthropomorph als Person oder als Gottvater vorstellen, was im Grunde das Sprichwort bestätigt, wenn es Gott nicht gäbe, müsste man ihn erfinden. Genau das ist der Fall, denn das Gehirn hat immer schon erfunden, was es nicht gibt. Das Gehirn ist ein Algorithmus, der das Unendliche in seiner Endlichkeit automatisch erfindet.
Einzelnachweise