Denkseuche oder der philosophische Dämon bei Philipp Mainländer
Aus Daimon
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In fieberhafter Tätigkeit korrigierte der deutsche Philosoph Philipp Mainländer (1841-1876) innerhalb von vier Monaten (von Ende 1875 bis Anfang 1876) den ersten Teil der Philosophie der Erlösung, schrieb den zweiten im Umfang von 650 Seiten, verfasste eine Novelle und notierte seine Lebenserinnerungen. Mit 35 Jahren schied er am Ende seiner Kräfte aus dem Leben.
In seinen Lebenserinnerungen führt Mainländer innere Dialoge mit seinem Dämon, der ihm sein gesamtes Werk in rasender Geschwindigkeit diktierte. Die Besessenheit von der Arbeit wurde wie eine Krankheit oder Denkseuche erlebt und zwang vergleichbar einer Glossolalie Mainländer zum Schreiben. Völlig ausgebrannt notiert Mainländer am Ende seines kurzen Lebens die Stimme des Dämons, die zum Autor spricht: „Also, liebes Väterchen, der Stand der Sterne ist vortrefflich günstig. Im Herbste wirst Du dein bedeutendes philosophisches System beendet haben. Du wirst unzweifelhaft eine große Leere in Dir empfinden. Wie willst Du sie ausfüllen? Du hast deine ganze Seele, alles, was dich von Jugend auf erfüllte, den vollen Reichtum deiner Gedankenwelt in das Werk gelegt und wirst, wie ich dich kenne, keine neue philosophische Arbeit je wieder in Angriff nehmen. Ist es dann nicht notwendig, dass du mir endlich und dadurch auch dir den Frieden giebst? Die Theorie ist vollendet; nun muss die Praxis kommen. (...) Dein philosophisches Werk ist nur der Reflex deiner Liebe zu mir; sie hat jedes Wort inspiriert; mich hast du darin allein verherrlicht, mich dadurch unsterblich gemacht. Und zwar, merke es wohl, ohne der Wahrheit, der keuschen herrlichen Göttin untreu geworden zu sein. Ich habe wahnsinnige Brüder, Teufelchen, ja Teufel. Wo sie wirken, da wird gesprochen und mit aller Kraft verteidigt, was nicht bestehen kann. Ich aber bin gut und rein, bin klar und hell, und weil ich so bin, ist mein Ungestüm, meine Leidenschaft eine unschätzbare Tugend. Ist es nicht zum Greifen deutlich: nur in der Verbindung deines Geistes mit mir konntest du dein Werk schreiben und dieses Werk ist deshalb so durch und durch wahr, ob es gleich nur der Reflex deiner Liebe zu mir ist, weil ich von Natur aus bin, was die Wahrheit lehrt: ein edelmütiger Charakter.“[1]
Einzelnachweise
- ↑ Zit. n. Fritz Sommerlad, "Aus dem Leben Philipp Mainländers. Mitteilungen aus der handschriftlichen Selbstbiographie des Philosophen (1898)", in: Winfried H. Müller-Seyfarth (Hg.), „Die modernen Pessimisten als décadents“. Von Nietzsche zu Horstmann. Texte zur Rezeptionsgeschichte von Philipp Mainländers Philosophie der Erlösung, Würzburg 1993, S. 104-105.