Regler

Aus Daimon

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Steuerungsdämonen

Fliehkraftregler

Die Geschichte des Reglers (engl. governor) liest sich als Geschichte, "die aus Theologie, Astronomie, Technologie, Medizin und sogar aus der gerade erst entstehenden Soziologie zusammengesetzt ist und in die Newton und Leibniz nicht weniger verwickelt sind als Watt und Lavoisier, Malthus und Auguste Comte".[1] Der ab dem späten Mittelalter zu findende Vergleich zwischen Uhrwerk und Kosmos bzw. Uhrmacher und Gott führt in Leibniz' Theodizee zur Vorstellung einer vollkommenen und ewig regulierten Welt. Leibniz' Welt reguliert sich nach einem strengen göttlichen Plan, der im Gegensatz zu Newton ohne Korrekturen des Schöpfers verläuft. Bereits Anfang des 18. Jhs. bedeutet governor in England eine Vorrichtung zur Kontrolle von Maschinen in Bergwerken, Mühlen, Kanälen oder zur Verteilung von Wasser, Kraft und Bewegung. Die Vorstellung eines großen zentralen göttlichen Reglers beginnt sich zu säkularisieren und wird zu einem verteilten technischen Netzwerk von Reglern. Nach Lavoisier hat die Natur überall Regler eingebaut, die im Menschen physiologisch und in Folge auch moralisch wirken. Nachdem der Begriff Regler als Metapher Gottes über Watt und Maxwell endgültig zu einer technischen Bezeichnung wurde, findet er Eingang in die Biologie, wo er vermittlet über den Begriff Homöostase zu einem Konzept der Kybernetik wird.

Fliehkraftregler: Kybernetischer Schutzengel

Matthew Boulton (1728-1809), der gemeinsam mit James Watt (Boulton & Watt) Dampfmaschinen produzierte, entdeckte den Fliehkraftregler beim Windmühlenbau und adaptierte ihn zur Drehzahlregelung von Dampfmaschinen. Der Fliehkraftregler nutzt die Zentrifugalkraft zur Steuerung der Drehzahl der Maschine, indem er den Dampfdruck im Kolben reguliert und konstant hält. Steigt der Druck im Kessel, dreht sich der Regler schneller und die rotierenden Kugeln heben das Ventil an, um Überdruck entweichen zu lassen. Ohne Regelkreis bzw. zirkularer Kausalität oder Selbstreferenz könnte sich die Maschine nicht selbst steuern, sondern würde sich selbst zerstören. Damit stellt der Fliehkraftregler ein frühes Beispiel für einen kybernetischen Regelkreis mit negativer Rückkopplung dar, der eine Selbststeuerung - vielleicht die einfachste Stufe von Bewusstsein - der Maschine ermöglicht. Er operiert als Dämon der Maschine, indem er die Zuteilung von Dampfkraft im Kolben überwacht und ihn vor Überlastung schützt. Der Fliehkraftregler markiert die Geburtsstunde der modernen, mathematischen Regelungstechnik und könnte - nicht zuletzt aufgrund seiner Erscheinungsform, die schon manchen Ingenieur an einen Schutzengel erinnerte - als moderne Allegorie technischer Dämonen fungieren.[2]

Zuteilungsdämonen

Diagram eines Antiblockiersystems (ABS)

Kybernetische Regelkreise finden sich heute in nahezu allen technischen Geräten, Systemen und Netzwerken und steuern Abläufe im Hintergrund. Sie überwachen und lenken ohne menschliches Zutun technische Prozesse oder optimieren und unterstützen menschliches Handeln. Mit fortschreitender Technifizierung von Umwelten dringen kybernetische Dämonen in alle Bereiche des Lebens vor und beeinflussen meist unbewusst den Alltag. In der Unsichtbarkeit liegt ihre helfende Funktion, aber auch Kontrollmacht, denn erst bei Störungen treten sie bewusst in Erscheinung. Wenn etwa ein Mailer-Daemon automatisch eine Fehlermeldung verfasst und den Absender auf eine falsche Adresse hinweist, kann ein anderer Dämon Daten ausspionieren und zweckentfremden.

Ein einfaches Beispiel für einen im Hintergrund wachenden kybernetischen Dämon ist das ABS eines Autos. Der automatische Blockierverhinderer in Kraftfahrzeugen verteilt und dosiert Bremskraft auf Räder, um den Bremsweg zu optimieren und Spurtreue zu gewährleisten. Der Dämon eines ABS kann in jedem der vier Radbremszylinder den Druck einzeln mindern, indem er die Drehzahl der Räder individuell misst und dementsprechend eine Zu- und Verteilung von Bremskraft ausübt. Während Antiblockiersysteme in den 1930er Jahren noch aus etwa 1000 analogen Bauteilen bestanden und unhandlich, langsam und teuer waren, bestehen sie heute aus digitaler Elektronik.


Einzelnachweise

  1. Georges Canguilhelm, Die Herausbildung des Konzeptes der biologischen Regulation im 18. und 19. Jahrhundert, Frankfurt a. Main 1979, S. 90-91.
  2. Die erste bedeutende Schrift über Rückkopplungsmechanismen war ein Artikel über Fliehkraftregler von Maxwell: James Clerk Maxwell: On Governors. In: Proceedings of the Royal Society of London. Royal Society of London, London, 1868, S. 270-283. Norbert Wiener führt Maxwells Artikel als entscheidenden Grund an, das Gebiet der Regelung und Nachrichtentheorie mit Kybernetik zu betiteln: Norbert Wiener, Kybernetik. Regelung und Nachrichtenübertragung im Lebewesen und in der Maschine, Düsseldorf, Wien, New York, Moskau 1992, S. 39.