MANIFEST
Aus Daimon
MANIFEST
Galerie Nicola von Senger, Zürich, 4. 4. - 9. 5. 2009
Kunstraum Bernsteiner,Wien, 8. 6. - 4. 9. 2010
4 Moscow Biennale of Contemporary Art, Rewriting Worlds, Moskau, 22. 9. - 30.10. 2011
Die Hand ist klüger als der Kopf.
Giordano Bruno
Zentrales Werk der Ausstellung bildet die Installation MANIFEST: Eine überlebensgroße geschnitzte Hand fährt wie von Zauberhand bewegt über die Wand des Kunstraums und hinterlässt Spuren eines Kohlestiftes. Die Hand weckt Assoziationen mit Adam Smiths unsichtbarer Hand, aber augenscheinlich handelt es sich um eine abgeschlagene, von Körper und Gehirn amputierte Künstlerhand, die wie auf einem okkulten Brett zur Geisterbeschwörung von höheren Mächten geführt wird. Die Arbeit MANIFEST verweist auf mehrere Ebenen, auf denen sich das Rationale und Mythische treffen und etwa Aspekte des Ökonomischen, einer surrealistischen Écriture automatique oder eines Acheiropoieton, eines nicht von Menschenhand geschaffenen Kunstwerks mitschwingen. Die Performance der endlosen Linie an der Wand resultiert aus Börsendaten großer Rückversicherer wie Münchner Rück, Swiss Re oder des internationalen Versicherungsmarktes Lloyd’s of London und werden von einem Computerserver in Gestalt eines Containerschiffes, DAIMONIA, in Echtzeit gesammelt, aufbereitet und als Steuerdaten an die Hand weitergeleitet. Das Containerschiff fungiert als Allegorie der Güter- und Wohlstandsverteilung, denn Ökonomie ist ein mächtiger Schicksalsengel, ein Bote oder griechischer Daimon, der über unser Leben bestimmt. War der griechische Daimon ein Zu- und Verteiler von Schicksal, bestimmt der Dämon Ökonomie heute unser Schicksal als Zu- und Verteiler von Gütern, Ressourcen, Energie und Information. Da das Schicksal eine riskante Größe ist, bedurfte es immer schon eines entsprechenden Risikomanagements, egal ob es sich um religiöse Opferrituale, Solidargemeinschaften oder Versicherungsgesellschaften handelt. Die Idee der Versicherung als kollektive Risikoübernahme stellt eine Säkularisierung von Magie und Glauben im Kapitalismus dar, wobei der Name Lloyd’s historische Tiefe in den Blick rückt, denn diese Gesellschaft versicherte bereits Expeditionen in die Kolonien.
Seiner künstlerischer Methode der „konzeptuellen Narration“ folgend, installiert Feuerstein an der Wand des Kunstraums großformatige Zeichnungen und Grafiken, die einen vielschichtigen Kosmos aus bildnerischen, historischen und gesellschaftlichen Bezügen und Referenzen konzipieren. Ökonomie und Kapitalismus, Glaube und Schicksal, Kybernetik und Klassenkampf gehen überraschende Verbindungen ein und finden zu einer räumlichen Topologie des Erzählens, die über das Illustrative und linear Beschreibende hinauswächst. Ergänzt und gleichzeitig auf eine abstrakt-skulpturale Ebene transponiert wird die Ausstellung durch die Arbeit PLASMA: Tausende schwarze Kugeln formieren sich zu einer molekularen Skulptur, die an chemische Polymermodelle oder biologische Kolonien wie Korallen erinnert. Das Verhältnis der Einzelteile zum Ganzen wird zum Manifest von Ordnung und Unordnung und stellt Fragen: Wie entsteht Struktur und wie viel Spielraum bleibt dem Individuum? Arbeiten wir Hand in Hand oder halten unsichtbare Hände unser Schicksal?
Thomas Feuersteins Kunst bezieht ihr Material aus unserer sozialen, technologischen und biologischen Realität, ohne Wirklichkeiten zu dokumentieren oder Fakten abzubilden. Was Feuerstein interessiert sind Verflechtungen, Zwischenräume und Übertragungen, um Prozesse und Strukturen aus sich heraus zum Sprechen zu bringen. In unterschiedlichen Medien realisiert, stehen die Werke wie kommunizierende Gefäße in Verbindung und untersuchen kulturelle Narrative. Kunstwerke werden bei Feuerstein immer erst über konzeptuelle Geschichten, über die Mischung von Fakten mit Fiktionen zu Kunst. Darin liegt die Vitalität seiner Kunst, die das vermeintlich Notwendige mit dem Spiel des Möglichen befruchtet.
MANIFESTO
A larger-than-life, carved hand moves across the wall as if by magic, leaving traces of charcoal behind it. The performance of the infinite line results from trade data of big reinsurance companies, such as Lloyd’s of London, that are transmitted to the hand from a computer server that takes the shape of a container ship. Unlike conventional representations of bull and bear spreads, the data is subjected to a new topology. Across time and the events of the market, new overwritings are continually created, that increasingly thicken and manifest themselves in a dark cloud: networked systems and global capital flows become a meteorological category, that transform the economy into a weather condition of our civilization. The hand provokes associations with Adam Smith’s invisible hand, but it appears to be a hand that has been served, amputated from the body and brain, and that is guided on what seems to be an occult board for the summoning of higher powers. The container ship (DAIMONIA) functions as a server, but also as an allegory of the distribution of goods and wealth as well as an angel of destiny, a messenger or demon of the economy. While the Greek Daimon was an allocator and distributor of destiny, today the economy determines our destiny as allocator and distributor of goods, resources, energy and information. Because destiny is a risky variable, an adequate management has always been necessary, whether it entails sacrificial rituals, shared risk pools or insurance companies. The idea of insurance as a collective acceptance of risk represents a secularization of magic and belief in capitalism, whereby the name Lloyd’s brings historical depth to the force, as the company previously insured expeditions to the colonies. Following his artistic method of “conceptual narration” Thomas Feuerstein posts large-format drawings and placards that ironically connect he economic and systemic with a surrealist Écriture automatique or a mythical acheiropoieton, an art work that is not made by human hands. Economics and capitalism, belief and destiny, cybernetics and class struggle enter surprising ties and become a spatial story, in which different hands are in play: the hand (lat. manus) becomes a manifest.
Weblinks
Kunstraum Bernsteiner, MANIFEST