Algorithmus
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Formalisierte Dämonen
Das Wort Algorithmus geht auf den persischen Astronomen und Mathematiker Muhammad ibn al-Musa Chwarizmi (ca. 783 - ca. 850 n.d.Z.) zurück. Mit seinem Buch De numero Indorum (Über die Zahl der Inder) führt er auf Basis eines indischen Traktates über Mathematik die bis heute gültige Ziffernschreibweise der Zahlen 1 bis 9 ein - später als "arabische Zahlen" bezeichnet. Weiters finden sich dort erstmals Regeln für die Berechnung mit negativen Zahlen sowie die "0". Das arabische Wort für "null" lautet sifr und bildet die Wurzel für "Ziffer" und "Zero".
Ein Algorithmus besteht aus einer endlichen Menge von Regeln und fungiert als Handlungsanweisung, Vorschrift oder Programm zur Lösung eines Problems. Im Alltag finden sich Algorithmen als Kochrezepte, Bedienungs- und Bauanleitungen oder als Programme für Maschinen aller Art. Ein Algorithmus ist ein Zu- und Verteiler von Handlungen, Prozessen, Informationen oder materiellen Bauteilen und kann als formalisierter Dämon beschrieben werden.
Gebrauchsanweisung
Als Gebrauchsanweisungen dienen Algorithmen der Vermittlung von Information, um ein Produkt zu benutzen oder hervorzubringen. Die Informationsübertragung kann durch Befehle, textuelle Beschreibungen, Symbole, Pläne oder Illustrationen erfolgen.
Ein Beispiel für eine Gebrauchsanweisung, die die Anleitungen auf sich selbst bzw. den materiellen Träger der Information anwendet, stellen Schnittbögen für Papiermodelle dar: Die auf einem Blatt Papier gedruckte Information wird zur Anweisung für eine Handlung, die das Papier faltet und in einen dreidimensionalen Gegenstand transformiert.
Algorithmische Kunst
In der Kunst finden sich Algorithmen als Notenblätter und Rezepturen, aber auch als Algorithmen-Vorräte oder Bibliotheken im Sinne von kunsthistorischen Epochen- und Gruppenprogrammen, als Maniera oder Stil sowie im eingeschränkten Maße als avantgardistisches Manifest.
Ein Algorithmus zum Schreiben von Texten kann den Gebrauch des alphanumerischen Codes reglementieren, indem beispielsweise keine Worte mit dem Buchstaben R oder E gebraucht werden. Derartige Algorithmen finden sich in der Literaturgeschichte bei spanischen Autoren des 17. Jh., die in ihren Gedichten einen Vokal oder Konsonanten ausließen. 1788 verfasste Gottlob Wilhelm Burmann 130 Gedichte ohne den Buchstaben R. Im 20. Jh. schrieben Ernest V. Wright den Roman Gadsby und H.R.V. Holland Eve’s Legend ohne den Selbstlaut E.
Im Modernismus, speziell im Dadaismus, rücken Handlungsanweisungen gegenüber dem eigentlichen Werk in den Vordergrund. Das Konzept, die Software bzw. der Algorithmus eines Kunstwerkes werden wichtiger als die Virtuosität und der Materialfetischismus der Ausführung. Ab den 1960er Jahren entdecken Fluxus-Künstler Handlungsanweisungen als eigenständiges Medium. In aktueller Gegenwartskunst finden sich zahlreiche Tendenzen, die bewusst oder unbewusst an diese Traditionen anknüpfen.
Im Bereich digitaler Kunst gibt es zahlreiche Beispiele und Bewegungen, die Kunst als Software begreifen. Künstlerische Software kann als Entwurfs- und Gestaltungsdämon dienen oder eigenständig im Sinne eines generativen Programmdämons Bilder, Töne oder Texte erzeugen.
Computerprogramme
Computerprogramme, die in System- und Anwenderprogramme unterteilt werden, basieren auf Algorithmen, die in Programmiersprachen formalisiert sind. Computerprogramme sind akkurate Beschreibungen von Algorithmen. Programme, die autonom operieren, werden als Daemons oder "Demons" bezeichnet und finden sich in Betriebssystemen (Unix) oder Software der Künstlichen Intelligenz. Bots und Crawler sind weitere Unterarten von Daemons.
Artificial Daemons
Der britische Mathematiker John Horton Conway schrieb 1970 einen Computer-Algorithmus zur Entwicklung zweidimensionaler Netzmuster bzw. "zellulärer Automaten". Horton nannte das Programm "Spiel des Lebens". Es simulierte Reproduktion, Wachstum und Evolution. Für darauf aufbauende Programme etablierte sich in Anlehnung an "artificial intelligence" der Begriff "artificial life".
Computerwürmer und Computerviren wie u.a. bestimmte Bots erfüllen mit zunehmender Komplexität Bedingungen künstlichen Lebens im Sinne von Reproduktion und Evolution. Sie stehen in Tradition zu logomorphen oder sprachlichen Schöpfungen, wie sie u.a. der Mythos des Golem erzählt.
Literatur und Weblinks
Peter Weibel, Die Algorithmische Revolution
Thomas Dreher, Konzeptuelle Kunst und Software Art: Notationen, Algorithmen und Codes
George Brecht and Robert Filliou, Games at the Cedilla, or the Cedilla Takes Off, New York 1967.
Bruce McLean, Retrospective, London 1972. Online: King for a Day and 999 other pieces/ works/ things/ etc.
Thomas Feuerstein, prozessuale poesie