Taylorismus
Aus Daimon
(Weitergeleitet von Fabrik)
Inhaltsverzeichnis
Der Dämon der Zeit
Die Uhr, nicht die Dampfmaschine ist die wichtigste Maschine des Industriezeitalters.
Lewis Mumford
Der US-amerikanische Ingenieur Frederick Winslow Taylor (1856–1915) erfand 1910 das Scientific Management (wissenschaftliche Betriebsführung), das später Taylorismus genannt wurde. Sein System zielte auf die Effizienzsteigerung menschlicher Arbeitskraft in Produktionsabläufen und Fabriken. Hierzu entwickelte Taylor ab 1882 Messreihen und Zeitstudien, bei denen er Arbeitsabläufe mit einer Stoppuhr untersuchte, um Zeitverluste sowie die "Faulheit" und Ineffizienz der Arbeiter (loafing) zu eliminieren. Durch die wissenschaftlichen Herangehensweise des Scientific Management, das er "auf alle Arten menschlicher Tätigkeit" anzuwenden suchte, wurde ein Prinzip der Arbeitsteilung eingeführt, das zwischen disponierender und ausführender Arbeit trennte. Sein Rationalisierungsprogramm umfasste im Wesentlichen drei Schritte: 1. Analyse des Arbeitsprozesses mittels Stoppuhr, 2. Zerlegung desselben in einzelne Handlungsmomente, 3. Optimierung der Arbeitsabläufe und Eliminierung von Leerzeiten. Damit etablierte das Taylorsystem eine chronokratische Herrschaft, in der der Dämon der Zeit als absolutistischer Zu- und Verteiler zum bestimmenden Organisationsmoment in Arbeits- und Lebenswelten wird.
Die Dämonen des Arbeitsbüros
Überwacht und umgesetzt wurden die Rationalisierungen im Taylorismus durch ein zentrales "Arbeitsbüro", in welchem spezialisierte Beamte Funktionen der früheren Werkstattmeister übernahmen. Sie sorgten für eine effiziente Zu- und Verteilung von Arbeit zur optimalen Auslastung der Ressource Zeit. Das Arbeitsbüro war Sitz des "Schlichters", der die Disziplin der Arbeitskräfte zu überwachen hatte und im Konfliktfall auch als "Friedensrichter" agierte. Dem "Schlichter" war eine Gruppe von "Funktionsmeistern" ("functional foremen") beigestellt, die vor Ort in den Werkstätten tätig waren. Die Anzahl der "Funktionsmeister", die technische Überwachung und die Einweisung der Arbeitskräfte vollzogen, richtete sich nach den betrieblichen Erfordernissen.
Der Taylor'sche Dämon
Frederick W. Taylor entstammte einer wohlhabenden Quäkerfamilie, die seine ethischen Vorstellungen über Arbeit, Produktivität und Effizienz maßgeblich prägte. Insbesondere seine Mutter, die in den 1850er Jahren der neu gegründeten Unitariergemeinde beitrat, vermittelte ihm einen puritanischen Wertekanon. Durch eine strenge Lebensführung sollte Gesellschaft verbessert und eine starke Nation aufgebaut werden. Vor dem Hintergrund der Unitarier formierte sich die einflußreiche Bewegung der "Transzendentalisten", unter denen Ralph Waldo Emerson (1803-1882) herausragte. Emerson, ein ehemaliger unitarischer Geistlicher, der den deutschen Idealismus (vor allem Schelling und Hegel) adaptierte, war ein Anhänger der "self culture", aus der sich im Umfeld Emersons mit Henry D. Thoreau eine spezifische Form "effizienter" Lebensgestaltung ableitete. In seiner Rede Man, the Reformer verpflichtete Emerson das Individuum, seine Umwelt im Dienste seiner Mitmenschen durch Arbeit und Optimierung der Lebensverhältnisse zu verbessern. Taylor wurde nach diesen Grundsätzen "Knowledge, Virtue, Power" zu einem Reformer erzogen, der im Unterschied zu Thoreau eine technisch-wissenschaftliche Naturbeherrschung unter streng religiös-moralischen Prämissen anstrebte. Bereits als Kind soll er durch einen starken Hang zum Experimentieren und genauen Analysieren aufgefallen sein, was sich u.a. in einem "Uhrentick" ausdrückte und neurotische Züge annahm. Religion, Moral, Zeit und Maschine verdichten sich zum Programm des Taylorismus, in dem die Uhr wird zum Auge Gottes, zum panoptischen Dämon wird, der über alle menschlichen Handlungen wacht.
Der Dämon der Arbeit
Taylor, der den Arbeiter zum Projektionsobjekt seiner Ideale und Neurose machte, verursachte durch das Scientific Management eine Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit und seinem Selbst durch Zeit. Menschliche Tätigkeit wurde dem Takt der Maschine unterworfen und Akkordarbeit und Stechuhr führten zum Gefühl der Fremdbestimmung. Die Folge waren Erschöpfung und Identitätsverlust, was bereits im 19. Jh. als moderne Dämonie empfunden wurde. Der Mediziner Hans Selye übertrug 1936 den Begriff Stress, der in der Werkstoffkunde den Zug und Druck auf Materialien und die dadurch verursachte Ermüdung bezeichnete, auf das durch Zeitdruck ausgelöste Krankheitsbild. Aus dem Taylorismus resultierten gesundheitliche Probleme der Arbeiter, die sich auf die Qualität der Produkte und in Form von krankheitsbedingten Ausfällen auch auf die Effizienz der Produktion auswirkten. Louis Renault führte bereits Ende 1912 in seinem Werk in Billancourt Zeitstudien ein, um eine wissenschaftliche Grundlage zur Bemessung des Stücklohnverfahrens zu erhalten. Da die Arbeiter die festgesetzten Normalzeiten als zu niedrig ablehnten, kam es zum ersten durch den Taylorismus verursachten Streik, der sich 1913 zum "Zeitnahmestreik" (grève du chronométrage) ausdehnte, an dem 4000 Arbeiter teilnahmen. Durch die negativen Konsequenzen des Taylorismus und Fordismus auf die Gesundheit der Arbeiter und der daraus resultierenden Probleme für die Unternehmen wurden im Rahmen der Human-Relations-Bewegung neue Denkansätze erprobt. Auslöser der Bewegung waren Experimente in den Hawthorne-Werken der US-amerikanischen Western Electric Company, bei denen ab 1924 tayloristische Fragestellungen aufgrund unerwarteter Ergebnisse auf soziale und psychologischen Aspekte der Arbeitsbedingungen gelenkt wurden. Daraus formierten sich zahlreiche Gegenbewegungen zum Taylorismus, die über die Arbeiterkämpfe der 1960er und 1970er Jahre im Kontext von Globalisierung und der damit verbundenen Migration von Arbeit von ungebrochener Aktualität sind.
Bricklaying Demon
Frank Bunker Gilbreth (1868-1924) und seine Frau Lillian Moller Gilbreth (1878-1972) beschäftigten sich mit Arbeitsmethoden und Arbeitsplatzgestaltung. Im Unterschied zu Taylor interessierte sie weniger die Steigerung der Arbeitsleistung als die Arbeitsmethode und Arbeitsplatzgestaltung. Das Scientific Management wurde - dem Titel der Dissertation von Lillian Moller Gilbreth (1915, Brown University) entsprechend - zur "Psychology of Management". Anhand des "Bricklaying System" (1909) veranschaulichte Frank Bunker Gilbreth, der in seiner Jugend als Maurer arbeitete, über die Zu- und Verteilung von Ziegelsteinen die Reform von Arbeitsmethoden zum Wohle des Arbeiters. Für die von ihm begründeten Bewegungsstudien (Motion Studies) verwendete er Filmkameras mit einem mitlaufenden Timecode (Chronocyclography). Nach seiner Theorie lassen sich alle menschlichen Bewegungen auf 17 Grundbewegungselemente (Therbligs) zurückführen. Um die optimale Arbeitsmethode zu ermitteln, eliminiert er nun jedes Therblig, das nicht dem Arbeitsfortschritt dient. Er gilt damit als Begründer der Systeme vorbestimmter Zeiten. Am Kaiser Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie in Berlin wurde in den 1920er Jahren das "Bricklaying System" weiter spezifiziert. Es wurde etwa mittels Benedictschen Respirationsapparat der Energieverbrauch beim Mauern bestimmt und festgestellt, dass der Kalorienverbrauch bei einer bestimmten Steingröße am geringsten ist, was zum deutschen Normalformat des Ziegels führte. Mauerautomaten, die selbständig Ziegel setzen, übertragen die Prinzipien des Scientific Management in die Maschine.
Weblinks
Frederick Winslow Taylor, The Principles of Scientific Management, 1911
Frank B. Gilbreth, Bricklaying system, 1909