Invisible Hand
Aus Daimon
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Inhaltsverzeichnis
Höhere Mächte
Die Metapher der unsichtbaren Hand liegt in einem religiösen Weltbild begründet, das die Steuerung natürlicher und menschlicher Prozesse einer höheren Macht zuschreibt. Die Hand Gottes greift lenkend ein, um die Geschicke der Welt zu regeln und das Schicksal der Menschen zu bestimmen. In der bildenden Kunst findet die Metapher der unsichtbaren Hand im Acheiropoíeton, in einem nicht von Menschenhand erstellten Kunstwerk, ihren Ausdruck.
Dämon des Marktes
Beim englischen Moralphilosophen und Begründer der klassischen Volkswirtschaftslehre Adam Smith (1723 – 1790) erfährt die Metapher der unsichtbaren Hand eine säkulare Deutung und dient der Beschreibung komplexer Marktzusammenhänge. Der Markt regelt nach wirtschaftsliberaler Überzeugung durch die Steuerung von Preis, Menge und Art der Sach- und Dienstleistungen die Balance zwischen Angebot und Nachfrage und garantiert eine effiziente Allokation von Ressourcen. Aus der Verknüpfung unterschiedlicher Kräfte, wie Produzenten, Händler, Konsumenten, Eigennutz, Wettbewerb, Angebot und Nachfrage etc., resultiert ein Netz aus Aktanten und Wirkungen, für welches Adam Smith die Metapher der "unsichtbaren Hand" (invisible hand) prägte.[1] In Ablehnung des Merkantilismus seiner Zeit ging Smith in Theory of Moral Sentiments davon aus, dass selbst unternehmerisches Eigeninteresse – wie von unsichtbarer Hand oder einem guten Dämon gesteuert – zum Gemeinwohl beitragen könne: erhöhte Produktivität, Gewinnmaximierung und Produktionseffizienz führen unweigerlich, d.h. automatisch und ohne Einflussnahme von Außen zum Wohlstand aller. Von den einzelnen Interessen der Marktteilnehmer lässt sich nicht auf die Makroebene des Marktes schließen, womit Smith mit "invisible hand" erstmals eine Herausbildung von Eigenschaften und Strukturen im Sinne einer ökonomischen Emergenz beschreibt.
In The Wealth of Nations entwickelte Smith die Theorie der Absoluten Kostenvorteile, wonach bei unterschiedlicher Produktivität die Länder vom Handel profitieren.[2] Wie später bei David Ricardo und seiner Theorie der Komparativen Kostenvorteile versuchte Smith die Vorteile des Freihandels für alle Länder aufzuzeigen, denn der freie Handel fördere nach dem Prinzip der "invisible hand" weltweiten Wohlstand.
Die unsichtbare Hand optimiert den Austausch von Gütern und Leistungen so lange, bis sich den Gossen'schen Gesetzen folgend keine weiteren gegenseitigen Vorteile mehr erzielen lassen. An diesem Punkt sind volkswirtschaftlich keine Nutzengewinne mehr zu erzielen und das Pareto-Optimum ist erreicht: niemand kann besser gestellt werden, ohne jemanden einen Nachteil zu verursachen. Dem Markt droht, um in einer physikalischen Metapher zu sprechen, der Wärmetod: Wäre Smiths unsichtbare Hand Maxwells Dämon, käme ihr Streben nach Energie bzw. Wohlstand ans Ende.
Dämon der Allokation
Adam Smiths unsichtbare Hand ist ein Dämon der Allokation, der Aktanten in einem vernetzten Markt zum gegenseitigen Vorteil strukturiert. Damit führt Smith ein systemisches Denken in die Ökonomie ein, das Komplexitäten beschreibt, ohne die einzelnen Interessen deterministisch wie etwa beim Laplace'schen Dämon erfassen zu müssen. Smiths Überlegungen, individuelle Handlungen, deren Intentionen keinem übergeordneten Plan folgen und nicht der Kontrollmacht eines Souveräns unterstehen, systemisch zu beschreiben, basieren auf Gedanken von Lord Shaftesburry, Francis Hutcheson, Bishop Butler oder Bernard Mandeville. In seiner Bienenfabel (1714) mutmaßt Mandeville wie zuvor Thomas Hobbes, dass die Emergenz des Guten im Sinne des Vorteils aller nicht zwingend auf gute Absichten des Einzelnen aufbauen muss. Auch egoistisches und narzisstisches Streben führt, sofern die systemischen Rahmenbedingungen für alle gleich sind und keine sichtbare Hand des Herrschers und verborgene Hand geheimer Verschwörer im Spiel ist, zum Erfolg der Gemeinschaft. Nach Niklas Luhmann sind Systeme, die sich nicht wechselseitig durchschauen und prognostizieren können, von doppelter Kontingenz betroffen, welche die unsichtbare Hand bewältigt, um zwischen Eigeninteresse und Gemeininteresse, aber auch zwischen natürlichen und künstlichen Phänomenen zu vermitteln. Die unsichtbare Hand beschreibt nach Hayek Resultate des menschlichen Handelns, ohne Resultat eines menschlichen Entwurfs zu sein.[3]
Einzelnachweise
- ↑ Die Metapher der unsichtbaren Hand war im 18. Jh. durchaus gebräuchlich, wurde aber von Adam Smith neu kontextualisiert. Während er in The History of Astronomy den Begriff noch in Analogie zu seiner Zeit verwendete, beschreibt er in Theory of Moral Sentiments und in The Wealth of Nations mit "invisible hand" Selbststeuerungsmechanismen innerhalb komplexer Marktsysteme.
- ↑ Im 4. Buch von The Wealth of Nations erwähnt Smith die unsichtbare Hand in Bezug auf den Freihandel zwischen Nationen: "By preferring the support of domestic to that of foreign industry, he intends only his own security; and by directing that industry in such a manner as its produce may be of the greatest value, he intends only his own gain, and he is in this, as in many other cases, led by an invisible hand to promote an end which was no part of his intention. Nor is it always the worse for the society that it was not part of it. By pursuing his own interest he frequently promotes that of the society more effectually than when he really intends to promote it. I have never known much good done by those who affected to trade for the public good. It is an affectation, indeed, not very common among merchants, and very few words need be employed in dissuading them from it."
- ↑ Vgl. Friedrich August von Hayek, Die Ergebnisse menschlichen Handelns, aber nicht menschlichen Entwurfs, in: Freiburger Studien, Tübingen 1969, S. 97-107.
Literatur
Paul A. Samuelson, William D. Nordhaus, Economics, New York 1998.
Ulrich van Suntum, Die unsichtbare Hand. Ökonomisches Denken gestern und heute, Berlin/Heidelberg/New York, 2005.