Parasit

Aus Daimon

Antike

Werbegrafik zur Fettreduktion durch Bandwürmer, Ende 19. Jh.

Unter Parasit (griech. pará-sitos: neben, mit oder bei einem anderen essend; lat. parasitus: Tischgenosse) verstand man in der Antike einen geachteten religiösen Beamten, der zusammen mit den Priestern und Göttern das kultische Opfermahl einnimmt. Parallel dazu traten Parasiten als weltliche Unterhalter auf, die – vergleichbar der Rolle des Künstlers, Dichters und Intellektuellen in der abendländischen Salonkultur – herrschaftliche Gastmähler durch ihre Anwesenheit gesellig gestalteten. Der Niedergang des Begriffs Parasit im Sinne des „arbeitsscheuen Lebenskünstlers” beginnt in der griechischen Komödie, wo er auf Menschen angewandt wurde, die auf Kosten anderer leben. In dieser Bedeutung wird der Begriff im späten Mittelalter aus dem Lateinischen entlehnt.

Mythos

In ägyptischer und mesopotamischer Vorstellung wurden Menschen von Krankheiten befallen, indem ein Dämon in sie eindrang. Zahlreiche Bezeichnungen von Krankheiten und ihren Symptomen waren verbunden oder identisch mit Namen von Dämonen oder Göttern. In der Antike wurden zahlreiche Krankheiten Dämonen zugeschrieben, die in die Körper ihrer Wirte eindrangen, um sie zu parasitieren. In der christlichen Dämonologie bezeichnen Obsessio oder Maleficiatio die Inbesitznahme des Menschen durch einen Dämon, der parasitär in den Körper eindringt und diesen zu seinem Wirt macht, um von seinen geistigen und physischen Kräften sich zu nähren. Blutsauger wie Flöhe und andere Insekten wurden im mittelalterlichen Volksglauben mit Krankheitsdämonen und Vampiren in Verbindung gebracht.

Naturwissenschaften

Eine von Sacculina befallene Krabbe mit sackartiger Ausstülpung am hinteren Thorax. Abb. aus Ernst Haeckel, Kunstformen der Natur, 1904.

Ein Beispiel für parasitäre Besessenheit sind Sackkrebse (Sacculina) aus der Ordnung der Rankenfüßer. Sacculina befällt Krabben, bohrt sich in ihr Fleisch und treibt rankenartige Geflechte in die Blutgefäße und das Gehirn des Wirts. Sacculina verändert den Hormonhaushalt und unterzieht die Krabbe einer chemischen Kastration. Sie ersetzt ihre Gehirnfunktionen und steuert sie wie ein Zombie.

Der Pilz Ophiocordyceps unilateralis befällt Ameisen, um in ihnen zu keimen und sie als Transportvehikel zu nutzen. Er programmiert die Tiere in Bodennähe, wo ideale Bedingungen für den Pilz herrschen, in eine Blattader zu beißen. Nach dem Tod der Ameise wächst, wie die Abbildung zeigt, ein Fruchtkörper aus dem Kopf des Tieres.

Historisch hält der Begriff 1646 mit Sir Thomas Browne in die Naturwissenschaften Einzug, der Misteln als „parasitical plants” beschreibt. Mit den Seuchen des 18. und 19. Jahrhunderts drängen Parasiten ins medizinische Bewusstsein und werden zum universellen Synonym für alle erdenklichen Krankheiten. Sie gelten als Verursacher von Pocken, Masern, Röteln, Scharlach, Typhus, Influenza, Ruhr, Cholera oder Pest.

Die metaphorische Verwendung des Begriffs Parasit kehrt mit Michel Serres (Le parasite, 1980) in die Philosophie und mit Richard Dawkins (The Selfish Gene, 1976) und seiner Vorstellung der „egoistischen Gene” in die Biologie zurück. 1982 publizierte der Mitentdecker der DNS, Francis H. C. Crick, gemeinsam mit L. E. Orgel in der Zeitschrift Nature den viel diskutierten Artikel Selfish DNA: the Ultimate Parasite, in dem jener Teil der DNS, der keine Proteine produziert, als „junk” definiert wird.

Weiters bezeichnet der Begriff Infestation in der Biologie die Besiedlung eines Organismus mit einem Parasiten, der sich im Wirtsorganismus nicht vermehrt. Im Verlauf der Ontogenese kommt es zu einem oder mehreren Wirtswechsel.

Parasit und Dämon im Antisemitismus

Aufgeladen mit Assoziationen an Eingeweidewürmern und Seuchen wurde der Begriff erneut auf Menschen angewandt und benannte vermeintlich „defekte Menschen”, welche die soziale und kulturelle Symmetrie stören. Johann Gottfried Herder erklärte etwa die Juden zu einer „parasitären Pflanze auf den Stämmen anderer Nationen” und mit Gründung der christlich-sozialen Partei 1878 in Deutschland, wo der moderne Antisemitismus in Erscheinung trat, wurde schließlich der „jüdische Parasit” kreiert. Die NS-Parteiideologen Arno Schickedanz[1] und Alfred Rosenberg dämonisierten Juden als Schmarotzer und Parasiten: "Wenn irgendwo die Kraft eines nordischen Geistesfluges zu erlahmen beginnt, so saugt sich das erdenschwere Wesen Ahasvers an die erlahmenden Muskeln; wo irgendeine Wunde aufgerissen wird am Körper einer Nation, stets frißt sich der jüdische Dämon in die kranke Stelle ein und nutzt als Schmarotzer die schwachen Stunden der Großen dieser Welt. Nicht als Held sich Herrschaft erkämpfen ist sein Sinnen, sondern sich die Welt 'zinsbar' zu machen, leitet den traumhaft starken Parasiten."[2] In der Rede Die Wahrheit über Spanien (1937) von Joseph Goebbels wurden Jude, Parasit und Dämon zu Synonymen: "Sehet, das ist der Feind der Welt, der Vernichter der Kulturen, der Parasit unter den Völkern, der Sohn des Chaos, die Inkarnation des Bösen, das Ferment der Dekomposition, der plastische Dämon des Verfalls der Menschheit."[3] Bis heute dienen Parasiten zur Beschreibung sozialer Probleme und bezeichnen „Schädlinge am Volkskörper”. Politik wird zu einer „medizinischen” Disziplin, die den Staatskörper von „Sozialschmarotzern” reinigt und heilt.

Einzelnachweise

  1. Arno Schickedanz, Sozialparasitismus im Völkerleben, Leipzig 1927.
  2. Alfred Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts, Wolfratshausen bei München 1930, S. 460.
  3. Zit.n. Renate Schäfer, Zur Geschichte des Wortes 'zersetzen'. In: ZDW 18/1962, S. 66.

Literatur

Ulrich Enzensberger, Parasiten, Frankfurt am Main 2001.

Weblinks

http://www.wormtherapy.com/