Bürgerkrieg

Aus Daimon

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Thomas Rainer


Dämon und Bürgerkrieg bei Thomas Hobbes

Thomas Vaughan, Lumen de Lumine, or A New Magicall Light, discovered, and Communicated to the World, London 1651, S. 23: Scholae Magicae Typus.

Im vierten Teil seines berühmten Traktats „Leviathan“, dem Beginn moderner Staatstheorie, stellt Thomas Hobbes der souveränen Macht Gottes und der Menschen ein anderes Reich und seine Herrschaft gegenüber: „The Kingdom of Darkness“, „the principality of Beelzebub over the demons, that is to say over phantasms that appear in the air.“ Die Beschreibung dieser Herrschaft eröffnet Hobbes das Verständnis der Kräfte, die das Verderben der Menschen im Bürgerkrieg verursachen. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist dabei die Gleichsetzung von Dämon und Phantasma, worunter Hobbes die Geister der Einbildung versteht. Allegorisch interpretiert meine das Reich der Dunkelheit nichts anderes als den Bundesschluss der Betrüger (confederacy of deceivers), deren Ziel es sei, durch dunkle und falsche Doktrinen das Licht der Natur unter den Menschen zu ersticken und auf diese Weise Herrschaft über sie zu erlangen. Hobbes hält nicht lange hinter dem Berg, auf wen diese wenig schmeichelhafte Charakterisierung abzielt. Es sind die Anhänger der aristotelischen Schulphilosophie, denen er vorwirft, Geister zu erschaffen, wo keine seien. Durch den Schrecken, den diese verbreiten, würden sie von den wahren Wirkkräften, die die Erschaffung des Staatsgottes Leviathan ermöglichten, ablenken. Was sind das nun aber für philosophische Dämonen, die Hobbes als schädlich für das Gemeinwohl ansieht? Die Antwort erlaubt ein Traktat des englischen Alchemisten und Hermetikers Thomas Vaughan, der unter dem Titel „Lumen de Lumine“ im selben Jahr wie Hobbes Leviathan, nämlich 1651 erschien. Das Buch ist mit einem Stich Robert Vaughans versehen, einem Stecher, der ebenfalls 1651 einen ultraroyalistischen Raubdruck von Hobbes Schrift „De Cive“ mit dessen Autorenportrait ausstattete. Ausführlich erläutert Thomas Vaughan den in „Lumen de Lumine“ abgedruckten Stich seines Namensverwandten. Dargestellt ist eine Allegorie des von der Natur ausstrahlenden Lichts als Leitfaden wahrer Erkenntnis. Der Lichtkranz des als Kerze symbolisierten „Lumen Naturae“ wird von einem dunklen Kreis umgeben, den Vaughan wie folgt interpretiert:

The Inferior part of this Type presents a Dark Circle, charg’d with many strange Chimaera’s and Aristotle’s tragelaphos, that Metaphysicall Beast of the Schoolmen. It signifies the innumerous conceited Whimzies, and ayrie roving Imaginations of Man. For, before wee attain the Truth, we are subject to a Thousend Fansies, Fictions, and Apprehensions, which wee falsly suppose, and many Times publickly propose for the Truth it self. This Phantastic Region is the true Originall Seminarie of all Sects and their Dissensions…If wee look on Religion, and the Diversities, thereof; whence proceeded the present Heresies and Schismes, but from the Different erroneous Apprehensions of Men? Indeed whiles wee follow our own Fansies, and build on bottomless unsettl’d Imaginations, wee must needs Wander, and grope in the Dark, like those that are Blindfolded.

Tragelaphos

K. Gesner, Historia animalium, Frankfurt am Main 1603, Tragelaphi icon.

Unter den von Thomas Vaughan genannten Dämonen des dunklen Kreises, der „phantastic region“, sticht ein Monstrum besonders hervor: Aristoteles Tragelaphos, das metaphysische Biest der Schulgelehrten. Seine genaue Bestimmung erlaubt uns ein besseres Verständnis von Hobbes Saat des Bürgerkriegs. Als Tragelaphos wird im Altgriechischen ein mythisches Mischwesen bezeichnet. Es ist zugleich Ziege und Hirsch. Dieses im Lateinischen als hircocervus und auf Deutsch Bockshirsch genannte Tier dient Aristoteles am Beginn seiner berühmten Schrift „Peri Hermeneias – De Interpretatione“ als Beispiel für ein Nennwort, das zwar etwas bedeute, dessen Existenz jedoch höchst zweifelhaft erscheint. „Wo ist der Bockshirsch, wo die Sphinx“, fragt der Philosoph im vierten Buch der Physik (Phys., 208 a 29-31) und gibt bereits zuvor die Antwort: „An keinem Ort, da sie nicht sind (nicht existieren).“ Als Nicht-Seiendes wurde der Tragelaphos in der Folge zum Gegenstand zahlreicher Kommentare. Da Aristoteles ihn zwar als Objekt der Erkenntnis (An. Po. , 49 a 24) gelten lässt, ihm gleichzeitig aber keine Existenz zuspricht, wunderten sich seine Schüler von der Antike bis ins 17. Jahrhundert über die Natur des seltsamen Geschöpfes. Kann es ein Ding geben, das nur als Name existiert, da die Möglichkeit seiner wirklichen Existenz durch dessen Widersprüchlichkeit von vorneherein ausgeschlossen erscheint? Ein Bockshirsch ist ein Hirsch, ohne Zweifel gleichzeitig aber auch eine Ziege. Ein Hirsch ist jedoch keine Ziege und eine Ziege kein Hirsch.

Entia Rationis - Gedankendinge als Ursache des Bürgerkriegs

Um das Problem des Tragelaphos zu lösen führte der größte scholastische Philosoph des 17. Jh.s, Francisco Suárez, aufbauend auf dem Aristoteleskommentar des Averroes den Begriff der entia rationis ein, der Gedankendinge, deren Existenz sich ausschließlich auf den Verstand beschränke. Ihr ontologischer Status war in der aristotelischen Schulphilosophie umstritten. Seit Avarroes behauptet hatte, dass der Verstand eine überindividuelle Größe sei, die unabhängig vom einzelnen Menschen denkt, ja sich das Denken des Einzelnen im Intellekt erst durch eine Spiegelung der Kategorien des Seins als Phantasmata konkretisiere, war die Möglichkeit einer „stofflichen Verdinglichung“ (materiellen Substanzierung) der entia rationis als Phantasmata gegeben. Gegen diese Tendenz spricht sich Hobbes entschieden aus. Ein Phantasma außerhalb individueller Einbildung sei philosophischer Humbug und widerspreche der Wahrnehmung der Natur. Sein einziger Zweck wäre die Menschen zu täuschen, um auf diese Weise Macht zu erlangen und die Autorität des souveränen Staates zu untergraben. Hobbes Kritik basiert auf einem grundlegenden Bruch mit der mittelalterlichen Theorie der Wahrnehmung, wie sie Averroes und seine Schüler vertraten. Während letztere vermuteten, dass sich beim Sehvorgang „species“ genannte Abbilder vom Gegenstand der Betrachtung ablösten und als Phantasmata durch das Auge in die hinteren Kammern des Gehirns gelangten, ging Hobbes von einer ausschließlich durch das Licht und seinen Druck auf das Sehorgan vermittelten Wahrnehmung aus:

The impression made on the organs of sight by lucid bodies, either in one direct line or in many lines, reflected from opaque, or refracted in the passage through diaphanous bodies, produceth in living creatures, in whom God hath placed such organs, an imagination of the object from whence the impression proceedeth; which imagination is called sight, and seemeth not to be a mere imagination, but the body itself without us; in the same manner as when a man violently presseth his eye, there appears to him a light without, and before him, which no man perceiveth but himself, because there is indeed no such thing without him, but only a motion in the interior organs, pressing by resistance outward, that makes him think so. And the motion made by this pressure, continuing after the object which caused it is removed, is that we call imagination, and memory, and, in sleep, and sometimes in great distemper of the organs by sickness or violence, a dream...

Phantasmata existieren für Hobbes nur im Kopf des Betrachters, nicht aber außerhalb. Erst die irrige Projektion der inneren Einbildungen in die Natur selbst, erschaffe Geister, deren vermittelnder Status zwischen realer und eingebildeter Welt von ihm als gegenstandslos verworfen wird.

Rhetorikkritik und Bürgerkrieg

Das Schattenreich der Dämonen erweist sich für Hobbes als dem natürlichen Sehen widersprechende Rhetorik, die lügnerische Betrüger zum eigenen Machterhalt gebrauchten:

But to what purpose, may some man say, is such subtlety in a work of this nature, where I pretend to nothing but what is necessary to the doctrine of government and obedience? It is to this purpose, that men may no longer suffer themselves to be abused by them that by this doctrine of "separated essences," built on the vain philosophy of Aristotle, would fright them from obeying the laws of their country, with empty names; as men fright birds from the corn with an empty doublet, a hat, and a crooked stick. For it is upon this ground that, when a man is dead and buried, they say his soul, that is his life, can walk separated from his body, and is seen by night amongst the graves. Upon the same ground, they say that the figure, and colour, and taste of a piece of bread has a being, there, where they say there is no bread: and upon the same ground they say that faith, and wisdom, and other virtues are sometimes poured into a man, sometimes blown into him, from heaven; if the virtuous and their virtues could be asunder; and a great many other things that serve to lessen the dependence of subjects on the sovereign power of their country. For who will endeavour to obey the laws, if he expect obedience to be poured or blown into him? Or who will not obey a priest, that can make God, rather than his sovereign; nay, than God Himself? Or who that is in fear of ghosts will not bear great respect to those that can make the holy water that drives them from him? And this shall suffice for an example of the errors which are brought into the Church from the entities and essences of Aristotle…

Die Wurzeln von Hobbes Rhetorikkritik liegen in der Antike. Schon Thukydides, den Hobbes ins Englische übersetzte, sah in den Sprachverführern die eigentlichen Anstifter zivilen Ungehorsams und Auslöser des Bürgerkriegs. Ihm folgend deklariert Hobbes in seiner Schrift „De cive“: „Die Zunge des Menschen aber ist gleichsam die Trompete des Krieges und Aufruhrs, und von Perikles erzählt man, dass er einmal durch seine Volksreden gedonnert, Blitze geschleudert und ganz Griechenland in Verwirrung gebracht habe.“ Die Ursache einer solchen Dysfunktionalität der Sprache sieht Hobbes im Eigenleben der Worte: „Endlich verführt die Mühelosigkeit des Sprechens den Menschen auch dazu, zu reden, wenn er überhaupt nichts denkt, und indem er, was er redet, für wahr hält, sich selbst zu täuschen. Das Tier kann sich nicht selbst täuschen. So wird der Mensch durch die Sprache nicht besser, sondern nur mächtiger.“ Wie Horst Bredekamp treffend formuliert, ist für Hobbes „das linguistische Agieren jenseits der Welt des Realen nichts weniger als harmlos, denn die hieraus entstehenden Missverständnisse gehören zu den Ursachen aller Zerwürfnisse.“ Hobbes schreibt: „Ein und derselbe Mensch weicht zu verschiedenen Zeiten von sich selbst ab und preist zu einer Zeit, das heißt erklärt als gut, was er zu einer anderen Zeit tadelt und böse nennt: und hieraus entstehen Dispute, Streitereien und schließlich Krieg.“ Die Stelle macht deutlich, worin Hobbes die besondere Gefahr eines Wesens wie des Tragelaphos erkannte: Es ist seine reine Existenz als Wort, das vom Realen unberührt bleibt, die ihm eine beunruhigende Macht verleiht.