Migräne, Migräneaura

Aus Daimon

Antike

Amuelett zur Abwehr von Dämonen. Abyzou wird von Arlaph (Erzengel Raphael) in die Knie gezwungen. Bronzeamulett, 6. – 7. Jh.

In der griechischen und römischen Mythologie wurde Migräne vom weiblichen Dämon Antaura hervorgerufen. Antaura wurde meist als Wind beschrieben, der aus dem Meer steigt, um Menschen heimzususchen. Bei den Sumerern hieß Antaura Abyzou, ein weiblicher Dämon, der Kinder tötet und wie später in jüdischer Tradition mit Lilith gleichgesetzt wurde.

Wie Erscheinungen der Epilepsie wurde Migräne seit der Antike oft als etwas dem Menschen Äußerliches und Fremdes dargestellt und mit der Inbesitznahme eigener Wahrnehmungen und Gedanken durch eine dämonische Macht in Verbindung gebracht.

Aura

Illustration der bei einer Migräne auftretenden Skotomata von Hubert Airy

Migräne geht häufig mit neuronal bedingten Visions- und Halluzinationserfahrungen einher, die kulturgeschichtlich zahlreiche Spuren vom Mytizismus einer Hildegard von Bingen bis zur bildenden Kunst hinterlassen haben.[1] Im Zuge sinnesphysiologischer Untersuchungen im 18. und 19. Jh. wurde der Migräneaura besondere Aufmerksamkeit geschenkt und Gelehrte wie Emil DuBois-Reymond schilderten ihre eigenen Leiden.[2] Hubert Airy legte seiner Dokumentation über Migräne die ersten detaillierten Zeichnungen bei, die die Entwicklung der im Blickfeld sich ausbreitenden Skotomata zeigen.[3]

Der britische Astronom Sir John Frederick William Herschel (1792–1871), der sich mit Phänomenen „sensorischen Sehens“ bei geschlossenen Augen und Dunkelheit beschäftigte, fragte sich, wie derartige Muster entstehen und in welcher „Abteilung der körperlichen oder geistigen Ökonomie“ sie ihren Ursprung haben: „Wo hat das Muster selbst oder sein Prototyp im Intellekt seinen Ursprung? Sicher nicht in irgendeiner Aktion, die bewusst vom Geist ausgeübt wird, denn sowohl das besondere Muster, das es zu formen gilt, als auch die Zeit seines Auftretens sind nicht nur jenseits unseres Willens und unserer Kontrolle, sondern jenseits unseres Wissens. Wenn es wahr ist, dass die Konzeption eines regelmäßigen geometrischen Musters die Ausübung von Denken und Intelligenz erfordert, würde es fast so scheinen, dass wir in solchen Fällen wie den oben herangezogenen die Evidenz eines Gedankens, einer Intelligenz haben, die innerhalb unserer eigenen Organisation getrennt von jener unserer eigenen Persönlichkeit arbeitet.“[4]

Dämon der Klassik

Giorgio de Chirico (1888-1978), der selbst an Migräne litt, veranlassten Erscheinungen der Migräneaura 1920 zum Aufsatz Der Dämon der Klassik, in dem er das Konzept des metaphysischen Alphabets ausführte. Seine Kunst beschränke sich demnach auf Grundfiguren, die sich in ihrer Beschreibung mit den geometrischen Spektren visueller Migränesymptome deckten.

Einzelnachweise

  1. Klaus Podoll, Derek Robinson, "Migraine experiences as artistic inspiration in a contemporary artist". In: Journal of the Royal Society of Medicine, Bd. 93, 2000, S. 263 – 265.
  2. Emil DuBois-Reymond, "Zur kenntnis der Hemikrania". In: Reichert und DuBois-Reymond (Hg.), Archiv für Anatomie und Physiologie, 1860, Heft IV.
  3. Hubert Airy, "On a Distinct Form of Transient Hemiopsa". In: Philosophical translations for 1870, London 1871, S. 247.
  4. Zit. n. Klaus Podoll, "Subjektive Sensationen – Halluzinatorische Formkonstanten der Migräneaura als Schnittstelle zwischen Kunst und Neurowissenschaft", in: Barbara Könches, Peter Weibel (Hg.), Unsichtbares. Kunst_Wissenschaft, Bern 2005, S. 290. Orig.: John Frederick William Herschel, Familiar lectures on scientific subjects, London 1867, S. 401.