Platon

Aus Daimon

Dämonen sind bei Platon den Göttern untergeordnet (Timaios 40de), sollen aber Verehrung erfahren (Nomoi 717a). Sie agieren wie Eros als Mittler zwischen Göttern und Menschen (Symposion 202de) oder sind Totengeister (Kratylos 398b). Der Daimon wirkt im Menschen und sorgt für Wohlbefinden (εύδαιμονία eudaimonia) oder Unwohlsein (δυσδαίμων dusdaimōn) (Timaios 90c); er macht glücklich (eu-daimon) oder unglücklich (kako-daimon) und lenkt die Geschicke, das Leben und den Totengeist des Einzelnen (Phaidon 107d).

Nach Platon wird den Menschen nicht von den Göttern ein Daimon beziehungsweise das Schicksal zugeteilt, sondern die Menschen wählen - z.B. über gute oder schlechte Sitten - selbst: "Nicht euch wird der Dämon erlösen, sondern ihr werdet den Dämon wählen" (Politea, 427 b, c). In diesem Sinne sind Ideen Dämonen und ist die Seele der Dämon des Menschen. Franz Vonessen bemerkt dazu: „Nur die unsterbliche Seele verdient den Beinamen ‚eigentlich’, ‚wahrhaft’. Aber als solche ist sie der Dämon, ein Gebieter, der zwar den meisten mehr oder weniger unbekannt bleibt, aber mächtig in jedes Leben hineinwirkt.“ Die Stelle Timaios 90a übersetzt Vonessen wie folgt: „’Der Dämon ist die eigentliche Gestalt der Seele bei uns (Menschen)’, oder sogar, weil das Wort eidos bei Platon ja auch die Bedeutung ‚Idee’ hat: Der Dämon ist in Wahrheit die Idee der menschlichen Seele.“[1]

Im Unterschied zu Sokrates operiert bei Platon der Dämon nicht als innere Stimme oder Wesen im Menschen, sondern der Dämon stellt eine Verbindung zum Göttlichen und zur Sphäre der Ideen her. Der Dämon agiert als Vermittler und Medium. In Das Gastmahl beschreibt Platon Eros und die Idee der Liebe als einen derartigen Dämon: "Was wäre also, sprach ich, Eros? etwa sterblich? — Keineswegs. — Aber was denn? — Wie oben, sagte sie, zwischen dem Sterblichen und Unsterblichen. — Was also, o Diotima? — Ein großer Dämon, o Sokrates. Denn alles Dämonische [202e] ist zwischen Gott und dem Sterblichen. — Und was für eine Verrichtung, sprach ich, hat es? — Zu verdolmetschen und zu überbringen den Göttern, was von den Menschen, und den Menschen, was von den Göttern kommt, der einen Gebete und Opfer, und der andern Befehle und Vergeltung der Opfer. In der Mitte zwischen beiden ist es also die Ergänzung, daß nun das Ganze in sich selbst verbunden ist. Und durch dies Dämonische geht auch alle Weissagung und die Kunst der Priester in bezug auf Opfer und Weihungen [203a] und Besprechungen und allerlei Wahrsagung und Bezauberung. Denn Gott verkehrt nicht mit Menschen; sondern aller Umgang und Gespräch der Götter mit den Menschen geschieht durch dieses, sowohl im Wachen als im Schlaf. Wer sich nun hierauf versteht, der ist ein dämonischer Mann, wer aber nur auf andere Dinge oder irgend auf Künste und Handarbeiten, der ist ein gemeiner. Solcher Dämonen oder Geister nun gibt es viele und von vielerlei Art, einer aber von ihnen ist auch Eros. — Wer aber, fragte ich, ist sein Vater und seine Mutter? — [b] Weitläufiger, sprach sie, ist dies zwar zu erzählen; doch will ich es dir sagen. Als nämlich Aphrodite geboren war, schmausten die Götter, und unter den übrigen auch Poros, der Sohn der Metis. Als sie nun abgespeist, kam, um sich etwas zu erbetteln, da es doch festlich herging, auch Penia und stand an der Türe. Poros nun, berauscht vom Nektar, denn Wein gab es noch nicht, ging in den Garten des Zeus hinaus, und schwer und müde wie er war, schlief er ein. Penia nun, die ihrer Dürftigkeit wegen den Anschlag faßte, ein Kind mit Poros zu erzeugen, legte sich [c] zu ihm und empfing den Eros. Deshalb ist auch Eros der Aphrodite Begleiter und Diener geworden wegen seiner Empfängnis an ihrem Geburtsfest, und weil er von Natur ein Liebhaber des Schönen ist und Aphrodite schön ist. Als des Poros und der Penia Sohn aber befindet sich Eros in solcherlei Umständen. Zuerst ist er immer arm und bei weitem nicht fein und schön, wie die meisten glauben, vielmehr rauh, [d] unansehnlich, unbeschuht, ohne Behausung, auf dem Boden immer umherliegend und unbedeckt schläft er vor den Türen und auf den Straßen im Freien und ist der Natur seiner Mutter gemäß immer der Dürftigkeit Genosse. Und nach seinem Vater wiederum stellt er dem Guten und Schönen nach, ist tapfer, keck und rüstig, ein gewaltiger Jäger, allezeit irgend Ränke schmiedend, nach Einsicht strebend, sinnreich, sein ganzes Leben lang philosophierend, ein arger Zauberer, Giftmischer und Sophist, und weder wie [e] ein Unsterblicher geartet, noch wie ein Sterblicher, bald an demselben Tage blühend und gedeihend, wenn es ihm gut geht, bald auch hinsterbend, doch aber wieder auflebend nach seines Vaters Natur. Was er sich aber schafft, geht ihm immer wieder fort, so daß Eros nie weder arm ist noch reich und auch zwischen Weisheit und Unverstand immer in der Mitte steht. [204a] Dies verhält sich nämlich so. Kein Gott philosophiert oder begehrt weise zu werden, sondern ist es, noch auch, wenn sonst jemand weise ist, philosophiert dieser. Ebensowenig philosophieren auch die Unverständigen oder bestreben sich, weise zu werden. Denn das ist eben das arge am Unverstande, daß er, ohne schön und gut und vernünftig zu sein, doch sich selbst ganz genug zu sein dünkt. Wer nun nicht glaubt bedürftig zu sein, der begehrt auch das nicht, dessen er nicht zu bedürfen glaubt. — Wer also, sprach ich, Diotima, sind denn die philosophierenden, wenn es weder die Weisen sind noch die Unverständigen? — [b] Das muß ja schon, sagte sie, jedem Kinde deutlich sein, daß es die zwischen beiden sind, zu denen auch Eros gehören wird. Denn die Weisheit gehört zu dem Schönsten, und Eros ist Liebe zu dem Schönen; so daß Eros notwendig weisheitliebend ist und also als philosophisch zwischen den Weisen und Unverständigen mitten innesteht. Und auch davon ist seine Herkunft Ursache; denn er ist von einem weisen und wohlbegabten Vater, aber von einer unverständigen und dürftigen Mutter. Dies also, lieber Sokrates, ist die Natur dieses Dämons. Was du aber glaubtest, daß Eros [c] sei, ist nicht zu verwundern. Du glaubtest nämlich, wie ich aus dem, was du sagst, vermuten muß, Eros sei das Geliebte, nicht das Liebende. Daher, meine ich, erschien dir Eros so wunderschön. Denn das Liebenswerte ist auch in der Tat das Schöne, Zarte, Vollendete, Seligzupreisende. Das Liebende aber hat ein anderes Wesen, so wie ich es beschrieben habe."[2]

Einzelnachweise

  1. Franz Vonessen, Platons Ideenlehre. Wiederentdeckung eines verlorenen Wegs. Band 1: Seelenlehre. Kusterdingen 2001, S. 418.
  2. Platon, Das Gastmahl, 23. Kapitel, Der Eros als großer Dämon zwischen dem Sterblichen und Unsterblichen; seine Herkunft und sein philosophisches Wesen, Übersetzung: F.D.E. Schleiermacher, 1807