Hawthorne, Nathaniel

Aus Daimon

(Weitergeleitet von Wakefield)

In der scheinbaren Verworrenheit unserer rätselhaften Welt sind die Individuen so genau einem System und die Systeme wiederum ineinander und einem Ganzen eingepaßt, daß der Mensch, der einen Moment beiseitetritt, sich der entsetzlichen Gefahr aussetzt, seinen Platz auf immer zu verlieren.

Nathaniel Hawthorne, Wakefield


Von einem dämonischen Selbstexperiment im Alltag morbider Banalität berichtet eine Erzählung des amerikanischen Romantikers Nathaniel Hawthorne. Eines Abends verabschiedet sich Wakefield, der Held der gleichnamigen Geschichte, von seiner Frau und verlässt das Haus, um eine Straße weiter eine kleine Wohnung zu beziehen. Ohne Ankündigung und beinahe unwillentlich vollzieht sich der Abgang in sein exzentrisches Exil. Nach gut zwanzig Jahren kehrt Wakefield, ebenso unvermittelt wie er gegangen war und ohne das Geheimnis seines Verschwindens selbst begriffen zu haben, wieder zurück. Das Beunruhigende dieser unspektakulären Entwicklung liegt im Verschwinden in eine Parallelwelt, die einen blinden Fleck innerhalb des geschäftigen Lebens darstellt. Wakefields Absenz entsteht durch eine minimale psychische und örtliche Parallelverschiebung, die ihn zu einer tragischen Figur, zum "Outcast of the Universe" werden lässt.

Wakefield unterscheidet sich von Modellen des dissidenten Scheiterns: Er ist kein Henry David Thoreau, kein passiver Verweigerer wie Melvilles Bartleby, kein "Dämon der Möglichkeit" wie Valerys Monsieur Teste und kein mysteriöser Fremder wie Hamsuns Johan Nagel. Er teilt eine unbestimmte Passivität mit all diesen Anti-Helden, aber sein Lächeln entspringt nicht der abstrakten Negation wie etwa bei Bartleby und dessen Formel "I would prefer not to", sondern einer grausamen Transgression. Der fatale Wandel vollzieht sich unbewusst und ohne Möglichkeit des Einspruchs. Wakefield befindet sich in einer teuflischen Warteschleife und steht unter dem Zwang der Wiederholung. Er spaziert täglich zu seinem Haus, beobachtet seine Frau, kann aber trotz seiner wachsenden Sehnsucht nach Rückkehr dem neurotischen Zwang nicht entrinnen.

Während die ewige Wiederkunft des Gleichen für Friedrich Nietzsche ein zyklisches Zeitverständnis als Grundlage höchster Lebensbejahung bestimmt, gilt sie im Mythos von Untoten und Vampiren als Fluch. Im Rhythmus der kapitalistischen Maschine wird die leere Wiederholung zum Ausdruck Marx‘scher Entfremdung und bei Freud manifestiert sie die Zwänge des "dämonischen Charakters".[1] Bei Hawthorne bleibt der Grund des "Beiseitetretens" und seine Rückkehr nach vielen Jahren ebenso unbestimmt wie es das Dämonische per se ist.

Die Ermüdung ausgebrannter Individuen antizipiert Hawthorne in der Dimension des paralysierten Selbst, das über die kleine Verrücktheit des Beiseitetretens aus allen Systemen fällt. Diese "entsetzliche Gefahr", "seinen Platz auf immer zu verlieren", ereignet sich in der psychischen Immanenz, die kein Außen zulässt und das Selbst unerbittlich in Rückkopplungsschleifen gefangen hält.


Einzelnachweise

  1. Sigmund Freud, "Jenseits des Lustprinzips", in Ders. Studienausgabe, Bd. 3, hg. v. Alexander Mitscherlich, Angela Richards und James Strachey, Frankfurt a. M. 2000, S. 245.


Weblinks

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