Katalysator

Aus Daimon

Der Begriff „Katalyse“ wurde vom schwedischen Chemiker Jöns Jakob Berzelius 1835 eingeführt und später im Kontext der Thermodynamik von Wilhelm Ostwald (1853-1932) als "die Beschleunigung eines langsam verlaufenden chemischen Vorgangs durch die Gegenwart eines fremden Stoffes" definiert.[1] Katalysatoren avancierten im 20. Jh. zum Reaktionsbeschleuniger der Moderne, ohne die Kunst- und Kraftstoffe, Dünge- und Lebensmittel sowie das breite Spektrum synthetischer Chemie in Industrie und Alltag nicht möglich geworden wären. In Biologie und Biochemie spricht man anstatt von Katalysatoren von Enzymen, die in lebenden Zellen eine fundamentale Rolle im Stoffwechsel - von der Verdauung bis hin zur Reproduktion und Transkription der Erbinformation - spielen. Zur Gärung wurden katalytische bzw. enzymatische Prozesse spätestens seit der Entstehung erster Hochkulturen für die Herstellung von Alkohol und Essig genutzt. In der Antike führten die Griechen alle Fermentationsprozesse von der Alkohol- bis zur Milchgärung auf Dämonen zurück. Aufbauend auf die zentrale Rolle, die Katalysatoren in der technischen Chemie einnehmen, deutete Ostwald die Katalyse als universelles Modell für ein neues Weltbild, das er Energetik nannte. Energie ist demnach die Primärsubstanz und alle Materie deren Erscheinungsform. Da Energie sich weder erzeugen noch vernichten lässt, kann sie nur umgewandelt werden und auf diesen Umwandlungsprozessen beruht der gesamte Stoffwechsel der Biosphäre.[2] Alwin Mittasch (1869-1953) sah in der Katalyse darüber hinaus einen Prozess, der auch psychische und soziale Prozesse umfasst und Ausdruck der Entelechie ist: "Ja, es erscheint die Wirksamkeit des Katalysators geradezu als Modell für sämtlich diaphysische Kräfte - vor allem für die Willenskraft - indem er 'verursacht', ohne energetisch Arbeit zu leisten."[3] Damit scheint Mittasch eine Wiederbelebung des antiken Daimon-Konzeptes wie bei Platon aus dem Geist der Chemie zu evozieren. Katalysatoren werden in Folge zur einflussreichen Metapher für kulturelle Prozesse, und umgekehrt werden bei Hans Blumenberg Metaphern selbst zur "katalysatorische(n) Sphäre, an der sich zwar ständig die Begriffswelt bereichert, aber ohne diesen fundierenden Bestand dabei umzuwandeln und aufzuzehren".[4] Als kulturelle Metapher des Sozialen, Politischen und Ökonomischen findet der Begriff Katalysator bis heute Verwendung, insbesondere dort, wo es um die Beschreibung unerwarteter Dynamiken geht, die dem Denken eine Richtung geben, Reaktionen beschleunigen oder verlangsamen. Katalysatoren entfalten eine Wirkung weit über die Chemie hinaus und werden zur universellen Metapher sozialer Transformationen, die dem Daimon in Mythos und Philosopie nahe steht.


Einzelnachweise

  1. Wilhelm Ostwald, Zeitschrift für Physikalische Chemie, 1894, Bd. 15, S. 706.
  2. Wilhelm Ostwald, Die Mühle des Lebens. Physikalisch-chemische Grundlagen der Lebensvorgänge, Leipzig 1911.
  3. Alwin Mittasch, Über Begriff und Wesen der Katalyse, in: Handbuch der Katalyse, Erster Band, hgg. v. G.-M. Schwab, Wien 1941, S. 30.
  4. Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, 1998, S. 11.