Enzym

Aus Daimon

Dämon der Gärung

Den Begriff Enzym ist abgeleitet von griech. zýmē (Sauerteig, Hefe) und wurde vom deutschen Physiologen Wilhelm Friedrich Kühne 1878 in den Sprachgebrauch eingeführt. Zuvor war der aus dem lateinischen fermentum (Gärung) entlehnte Ausdruck Ferment gebräuchlich. In der griechischen Mythologie wurden sämtliche Naturphänomene von Dämonen bewirkt, insbesondere nicht erklärbare Prozesse der Gärung, die Milch in Käse oder Zucker in Alkohol verwandeln.

Dämon der Evolution

Jacques Lucien Monod

In Zufall und Notwendigkeit (Orig.: Le hasard et la nécessité. Essai sur la philosophie naturelle de la biologie moderne, Paris 1970) beschreibt der französische Biochemiker Jaques Monod (1910-1976) Enzyme als Dämonen, die gegen Zufall und Entropie vorgehen. Indem sie Stoffwechsel und Wachstum steuern, agieren sie als Gleichrichter für Entropieschwankungen. Monod stellt Enzyme in die Tradition des Ordnung schaffenden Maxwell'schen Dämons, um ein Erklärungsmodell für Selektion und Evolution zu diskutieren. Selektion erfolgt nicht blind und zufällig, sondern beruht auf einem Dämon, der aus chaotischen Schwankungen Information gewinnt. Der Dämon, der in der Lage ist zufällige Fluktuationen in Information zu wandeln, ist nicht irgendein molekularer Gleichrichter, sondern ein im Mechanismus der Selektion verankertes Prinzip. Selektion agiert nicht blind und hat auch keine simple Filterfunktion, die ihr seit Darwin zugeschrieben wird, sondern operiert nach einem bestimmten Programm. Da Information der Entropie entgegengesetzt ist bzw. in Anlehnung an einen Lehrsatz von Leon Brillouin Information und negative Entropie äquivalent sind, beruht Leben und Evolution auf einen Ordnung und Information schaffenden Dämon - ganz im Sinne des griechischen Daimons als Zu- und Verteiler. Gleichzeitig verweist Monod auf die Rolle zufälliger Störungen, die den Daimon des Lebens in Unordnung versetzen und Mutationen provozieren, ohne die Evolution nicht möglich wäre. In diesem Sinn erklärt der Monod‘sche Dämon, warum ein Darwin‘scher Dämon sich in der Natur nicht findet.

Die Verlagerung und Verwandlung des Demiurgen in ein enzymatisches Programm der Biochemie lässt für Monod den existentialistischen Schluss zu, dass der Mensch eine weit größere Kränkung erleidet als einst bei der kopernikanischen Wende und sich in kosmologischer Einsamkeit wiederfindet: "Wenn er diese Botschaft in ihrer vollen Bedeutung aufnimmt, dann muß der Mensch (...) seine totale Verlassenheit, seine radikale Fremdheit erkennen. Er weiß nun, daß er seinen Platz wie ein Zigeuner am Rande des Universums hat, das für seine Musik taub ist und gleichgültig gegen seine Hoffnungen, Leiden oder Verbrechen."[1]

Einzelnachweise

  1. Jacques Monod, Zufall und Notwendigkeit. Philosophische Fragen der Biologie, München 1973, S. 211.