Klossowski, Pierre

Aus Daimon

Der Dämon im Kunstwerk

Pierre Klossowski, Roberte ce soir: seconde version, 1984. Farbstift auf Papier, 200 x 85 cm.

In "Rückkehr zu Hermes Trismesgistos" fragt Pierre Klossowski nach "der Mitwirkung der Dämonen im Kunstwerk" und in weiterer Folge nach dem Verhältnis zwischen religiösen Idolen und Werken zeitgenössischer Kunst.[1] Da es dem Künstler im Sinne von Hermes Trismesgistos nicht aus eigener Kraft möglich ist, Bilder und Idole zu beseelen, bedarf es Dämonen. Als Mittler zwischen den Sphären der Götter und der Menschen, vermögen sie, wohnhaft in Bildwerken - heute als Fetische bezeichnet -, Gutes oder Böses zu bewirken, die Zukunft vorherzusagen oder die Geschicke der Menschen zu beeinflussen. Die Frage, ob in der zeitgenössischen Kunst eine dämonische Komplizenschaft zwischen Künstler, Werk und Betrachter abseits des religiös Kultischen von Belang ist, erklärt Klossowski wie folgt: "Aber damit Sie besser verstehen, inwiefern die Erklärung des Trismesgistos mich noch betrifft, der ich auf meine Weise Simulakren herstelle, möchte ich nur festhalten, dass sie auf der Unmöglichkeit aufbaut, 'eine Seele zu schaffen', die den toten Gegenstand, der das Simulakrum ist, beleben könnte; dass sie also dem Künstler die Fähigkeit abspricht, allein kraft seiner Subjektivität zu agieren und dass die moralische Aktion des vom Künstler hergestellten sichtbaren Objekts nur der Komplizenschaft einer dämonischen Kraft zuschreibt."

Der Dämon im Betrachter

Um die "dämonische Bewegung" im Schaffensprozess und als Teil der Rezeption zu verdeutlichen, zitiert Klossowski Tertullian: "Der Dämon war zugleich in der Sache, die er sehen liess, und in dem, den er die Sache sehen liess." Die Obsession des Künstlers setzt den Dämon ins Werk, um dort zur Obsession des Betrachters zu werden. Der künstlerische Schaffensprozess gleicht einem Exorzismus, bei dem dämonische Kräfte ins Werk übersetzen und eine Bewegung in Gang setzen: "Die Obsession wirkt also gleichzeitig, aber unterschiedlich im Künstler und seinem Simulakrum, im Simulakrum und seinem Betrachter." Die dämonische Bewegung des vollendeten Werkes oszilliert zwischen Technik, Emotion, Stil und Motiv oder vereinfacht zwischen Signifikat und Signifikant. Daraus entsteht ein dämonisches Perpetuum mobile der Kunst, das als Unruhe des Werkes zu keinem Ende kommt. "Was stützt nun die Aktion des 'vollendeten' Bildes - wenn es nicht zwischen dem Künstler und seinem Simulakrum, zwischen dem Simulakrum und seinem Betrachter das Kommen und Gehen einer 'dämonischen' Gegenwart ist, welche daher den Blick intensiviert und das betrachtete Objekt modifiziert und es ständig überschreitet, um sich mit der Ansicht seines Konterfeis zu vereinen? (...) Weder die Obsessionen noch die Genüsse noch die Ängste, die sie hervorrufen, werden die je verschiedenen Aspekte erschöpfen, die sie auf den Bildern anzunehmen geruhen."

Das Kunstwerk als Exorzist

In seinen Zeichnungen geht es Klossowski um die Sichtbarmachung von Pathos. Dafür bedarf es der Dämonologie: "Damit der Künstler zu seinen Zielen gelangt, muß er an der Hypothese eines dämonologischen Universums analog zu den ihn bewohnenden Kräften festhalten und jede Bewegung seiner Seele als Entsprechung einer dämonischen Bewegung behandeln… Die Malerei ist eine Pathologie, insofern das Gemälde ein dämonisches Strategem reproduziert und dadurch die Besessenheit des Malers exorziert und kommuniziert… Unter Exorzieren verstehe ich einen bösen Geist aus einer Seele austreiben. Aber um ihn auszutreiben, muß man seine Sprache sprechen, und um ihn zum Ausziehen zu überreden, muß man ihm einen anderen Ort anbieten…". Das Kunstwerk verbannt dabei wie ein Exorzist die Dämonen aus der Seele in das Werk. Dieser Transfer konstituiert nach Klossowski die Pathologie als Topologie: "Die Seele ist immer von irgendwelcher Macht bewohnt, einer guten oder einer bösen. Nicht wenn sie bewohnt sind, sind die Seelen krank; krank sind die Seelen, wenn sie nicht mehr bewohnbar sind. Die Krankheit der modernen Welt besteht darin, daß die Seelen nicht mehr bewohnbar sind und daß sie daran leiden! Man glaubt, die übeltätigen Mächte auf nichts reduzieren zu können unter dem Vorwand, daß es kein übernatürliches Wesen mehr gibt. Die Rechnung ist falsch! Sobald ein Wesen existiert, existiert eine Übernatur… Es ist nötig, daß ich die Mächte, die mich zum Sprechen bringen, identifiziere. Der Exorzist spricht eine Realität, eine wirksame Aktion Mächten zu, die mit einer autonomen Existenz ausgestattet sind, welche derjenigen des Subjekts äußerlich ist, das sie zu besitzen sucht… Hier gibt es keine Innerlichkeit im modernen Sinn. Der Exorzist stellt sich auf den Gesichtspunkt dieser fremdem Kräfte. Die Seele ist für ihn ein den Mächten äußerer Ort, wie diese Mächte ihr gegenüber äußerlich sind. Daher meine Behauptung, daß die Pathologie eine Topologie ist."[2]

Einzelnachweise

  1. Pierre Klossowski, "Rückkehr zu Hermes Trismesgistos. Von der Mitwirkung der Dämonen im Kunstwerk", in: Ders., Die Ähnlichkeit, Bern/Berlin, 1986, S. 103 - 106.
  2. Zit. n. Walter Seitter, "Psychologie, Topologie, Dämonologie", in: ders. Jaques Lacan und, Berlin 1984, S. 37f.