Trickster

Aus Daimon

Ethnologie

Loki mit Fischernetz, 18. Jh., Buchmalerei aus dem Manuskript SÁM 66, Árni Magnússon Institute Island

Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Begriff Trickster (Betrüger, Schwindler) von US-amerikanischen Ethnologen, insbesondere von Brinton und Boas eingeführt, um in nordamerikanischen Indianermythen wiederkehrende Fabelwesen zu beschreiben.[1] Die Figur des Tricksters ist jedoch nicht auf einzelne Ethnien beschränkt, sondern findet sich in nahezu allen Kulturkreisen. Sie taucht als theriomorphe Gestalt in Form eines Kojoten, Hasen oder Raben auf, heißt als anthropomorphes Wesen Nanabozho, Wiskedjak, Loki, Hermes oder Prometheus.

Mythologie

In der Mythologie findet sich der Trickster in zahlreichen Legenden, vom antiken Griechenland bis Nordamerika, Afrika und China. Seine Rolle ist zwischen Gottheit und Dämon angesiedelt. Das Dämonische seines Wesens liegt in der Störung von Normen und Ordnungen. Er schafft Chaos und Entropie, gleichzeit aber neue Ordnungen und Möglichkeiten.

Charakteristisch ist die Verwandlungsfähigkeit des Tricksters in Objekte, Tiere und Menschen jeden Alters und Geschlechts. Der Trickster ist unsterblich und besitzt göttliche oder mythische Qualitäten. Er agiert als tölpelhafter Narr und als Kulturheros, der den Menschen Innovationen wie Feuer, Kulturpflanzen oder Technologien bringt. Dies geschieht allerdings meist unbeabsichtigt als indirekte Folge seiner egoistischen, triebgesteuerten Handlungen oder eines Mißgeschicks.

Der Trickster erscheint in Erzählungen als groteskes physisches Wesen. Beispielsweise trägt er seinen Darm oder überlangen Penis um seinen Körper geschlungen bzw. letzteren zusammengerollt in einem Kästchen auf dem Rücken. Weiters besitzt er nur mangelnde Kontrolle über seine Körperausscheidungen, kann seine Körperteile nicht koordinieren, die oft ein Eigenleben gewinnen und zu denen er mitunter spricht. Zum Teil verletzt er sich selbst und ißt aus versehen eigene Gliedmaßen. Kennzeichnend sind sein ständiger Hunger sowie sein unstillbarer sexueller Drang, der auch vor Inzest und anderen Tabubrüchen nicht zurückschreckt. Der Trickster verletzt, verspottet und trickst andere aus, was ihm umgekehrt ebenfalls wiederfährt. Er ist oft grundlos grausam, gleichzeitig schlau und dumm und kennt keine Norm von Gut und Böse.

Die Kunst des Tricksters

Cornelius Norbertus Gijsbrechts, Hinterseite eines Gemäldes, um 1670, Öl auf Lw., 66,6 x 86,5 cm, Statens Museum for Kunst, Kopenhagen

Die Geschichte der Kunst erzählt von zahlreichen Tricks und Special Effects: Kunstwerke verführen und betrügen, verunsichern die Wahrnehmung, stören soziale Ordnungen und moralische Werte, provozieren Unruhe oder verunreinigen Kategorien und Systeme. In der Kunst werden wir hintergangen, bestohlen und verlacht. Doch liegt nicht gerade darin der Gewinn, wenn Kunstwerke mit uns Spiele treiben und gewohnte Stabilitäten als kontingente Zustände präsentieren, die überraschende Möglichkeiten bereithalten? In der zeitgenössischen Kunst hat nach Lewis Hyde der Künstler die Rolle des Tricksters übernommen, zumindest jener Künstlertyp, dessen Material gesellschaftliche Parameter bilden, die er verformt und überschreitet.

Im Unterschied zu einem herkömmlichen Dieb, geht der Trickster erfindungsreich vor und oft ist das Wissen um den angewandten Trick wertvoller als das entwendete Gut. Er verändert die Welt nicht strategisch nach einem Plan, sondern beiläufig, indem er beispielsweise Technologie und Sprache, aber auch Vergänglichkeit und Tod bringt. Weder Mensch noch Tier, noch Gott oder Teufel, existiert der Trickster im Dazwischen, um Identitäten aufzubrechen. Er akzeptiert keine Beschränkungen, weder der Moral, der Erkenntnis noch der Natur und ihrer Gesetze. Er ist mit exzessiven Trieben ausgestattet, die von Fresslust über sexuelle Begierden bis zur unstillbaren Neugierde und Wissensdurst reichen. Schamlos und amoralisch überschreitet er gewaltsam Grenzen, stellt sich der herrschenden Macht und den Institutionen entgegen und sorgt indirekt für eine Wiederbelebung und Erneuerung der Kultur.

Trompe-l'œil

Cornelius Norbertus Gijsbrechts, Trompe-l'œil, Öl auf Lw., 101,9 x 83,4 cm, Museum voor Schone Kunsten, Gent

Parrhasios (...) soll sich mit Zeuxis in einen Wettstreit eingelassen haben; dieser habe so erfolgreich gemalte Trauben ausgestellt, daß die Vögel zum Schauplatz herbeiflogen: Parrhasios aber habe einen so naturgetreu gemalten leinenen Vorhang aufgestellt, daß der auf das Urteil der Vögel stolze Zeuxis verlangte, man solle doch endlich den Vorhang wegnehmen und das Bild zeigen; als er seinen Irrtum einsah, habe er ihm in aufrichtiger Beschämung den Preis zuerkannt, weil er selbst zwar die Vögel, Parrhasios aber ihn als Künstler habe täuschen können.[2]

In der holländischen Stilllebenmalerei des 17. Jahrhunderts entwickelte sich ein eigenes Genre, das die Täuschung der Malerei in der Malerei thematisierte und als „bedriegertje“ (kleiner Trickster, Betrüger) bezeichnet wurde. Der Betrug baut auf der Vortäuschung realer Dinge auf, die sich auf dem zweiten Blick als ikonische Zeichen erweisen. Um Zeichen an die Stelle von Dingen setzen zu können, muss ein Diebstahl vorausgehen, eine trickreiche Substitution, die die Welt der Gegenstände gegen die Welt der Zeichen tauscht. Im Mythos stielt der Trickster die Dinge, im Gegenzug schenkt er den Menschen Sprache und Geschichte. Die Rolle des Künstlers als Trickster im Sinne eines Illusionisten und Zauberers wird zum ironisch-selbstreflexiven Genre der Malerei.

Ausstellung

Thomas Feuerstein, Trickster: Politiker, Dämonen, Parasiten, 2007. Plakat zur gleichnamigen Ausstellung im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, 4. Juli bis 2 September 2007.

"Trickster: Politiker, Dämonen, Parasiten" war der Titel einer Ausstellung von Thomas Feuerstein im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum vom 3. Juli bis 2. September 2007.

Als diabolischer und widersprüchlicher Anti-Held verkörpert der Trickster gegenwärtige Befindlichkeiten, die ihn für Thomas Feuerstein und seiner künstlerischen Methode der konzeptuellen Narration zum idealen Protagonisten der Ausstellung machen. Das Tricksterprinzip, das die Trennung zwischen Dingen und Zeichen, Fakten und Fiktionen aufhebt, liefert den Metatext für die Ausstellung, die sich in die drei „Kapitel“ Politiker, Dämonen, Parasiten gliedert. Der Begriff Politiker ist hier in einem erweiterten Sinn zu verstehen und zielt auf Fragen der Organisation beziehungsweise des Wechselverhältnisses zwischen Individuum und Sozietät. In der Ausstellung werden hierzu neue Arbeiten aus der Serie Körperlose Organe gezeigt, die ausgehend von Atom- und Molekülmodellen eine „soziale Physik“ und „politische Mengenlehre“ als Spiel zwischen Ordnung und Entropie entwerfen.

Thomas Feuerstein, DAIMON, 2007. Netzwerk-Installation, 4 Lackobjekte, 1 Grafik, Computer-/Audiotechnik, Maße variabel. Die Installation übersetzt Serveraktivitäten in haptische Prozesse. Besuchen Bots oder Crawler von Internetsuchmaschinen den Server, beginnen die Objekte zu vibrieren und in tiefen Frequenzen zu tönen. Software: Peter Chiochetti, Audio: Chris Martinek

Mit Dämonen beschwört Feuerstein keine esoterischen Traditionen, sondern verfolgt Spuren, die von der griechischen Philosophie über die Physik (Laplace'scher Dämon, Maxwell'scher Dämon) bis hin zu Computersystemen reichen. Waren Dämonen bei den Griechen Zu- und Verteiler des Schicksals, mutieren sie gegenwärtig zu Prozessen, die autonom im Hintergrund digitaler Systeme und Netze, sozusagen im Dunkel der Matrix operieren und uns nur gelegentlich bei Unzustellbarkeit einer elektronischen Nachricht als Mailer-Daemon begegnen. Im technisch-sozialen Sinn erfährt unsere Gesellschaft eine umfangreiche Dämonisierung - etwa im Bereich der Videoüberwachung öffentlicher Räume. Bereits jetzt entscheiden Bots und Crawler selbsttätig über die Zu- und Verteilung von Aufmerksamkeit im Internet und Anti-Virenprogramme agieren als moderne Exorzisten. Darüber hinaus sieht Feuerstein in Dämonen kulturelle Programme, die sich in allen Artefakten eingeschrieben finden und unser Zusammenleben untereinander und mit Objekten bedingen. In der Ausstellung ist eine Installation mit dem Daimon zu sehen, die auf der Vernetzung von Materialitäten mit systemischen Prozessen beruht und - gemäß dem Tricksterprinzip - die Trennung zwischen Sprache und Dingen, Geist und Materie verwischt. In indianischen Mythen trägt der Trickster den Darm um seinen Körper gewickelt, besitzt keine Kontrolle über seine Ausscheidungen und isst aus Versehen Teile des eigenen Körpers. Zusammen mit seinem unbändigen Appetit gleicht er einem Parasiten, der bei Feuerstein in Form eines Bandwurms zum Ausstellungsobjekt wird. In einem gläsernen Verdauungstrakt windet sich der Wurm, dessen gesamter Körper ein nach außen gestülpter Darm ist. Die Unterscheidung zwischen Innen und Außen, Reinheit und Schmutz zerbricht und wandelt sich in die Frage nach den Wechselverhältnissen zwischen Parasit und Wirt, System und Umwelt. Thomas Feuerstein selbst als Trickster zu bezeichnen liegt nahe, denn seine Arbeiten verstricken uns in Geschichten, die abgesteckte Grenzen und Kategorien sprengen. Das Faktische und das Fiktive erfahren eine Überlagerung, um kulturelle Symbolproduktionen und Machtgefüge entropisch zu verrauschen und in neuen Ordnungszusammenhängen zu präsentieren. Der Trickster, der Falltüren öffnet und Begierden eine Form gibt, aktualisiert sich in Feuersteins Arbeiten als politischer Dämon und dämonischer Parasit, der durch die Erzählungen der Moderne vagabundiert, sie hypertrophiert oder gegen sie rebelliert.

Einzelnachweise

  1. Vgl. Daniel G. Brinton: American Hero-Myths. A Study in the native Religions of the Western Kontinent, Philadelphia 1882.
  2. Plinius Secundus d. Ä., C., Naturkunde, Buch XXXV, 65-66, München 1978, S. 55.

Weblinks

Paul Radin, The Trickster: A Study in American Indian Mythology

Das Weltverständnis der Indianer Nordamerikas im Lichte der europäischen Philosophie

Nasreddin Hodja - Tales of the Turkish Trickster