TRICKSTER – POLITIKER, DÄMONEN, PARASITEN

Aus Daimon

Verena Konrad


TRICKSTER – POLITIKER, DÄMONEN, PARASITEN

Zur Ausstellung von Thomas Feuerstein im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, 4. Juli bis 2. September 2007

Konfabulation

In den 1990er Jahren entwickelte Thomas Feuerstein die künstlerische Methode der konzeptuellen Narration, bei der verschiedene Medien Anwendung finden, die von der Zeichnung, Fotografie, Malerei, Skulptur bis hin zu Installation, Video, Internet, und Hörpsiel reichen. Die Methode verknüpft Fakten mit Fiktionen und stellt die Frage nach Dogmen und Paradigmen, die Ordnungen und Systemen zu Grunde liegen. Insbesondere das Verhältnis zwischen Individualität und Sozietät, das durch Geschichten und Konfabulationen geregelt wird, bildet einen latenten Faden durch Feuersteins Arbeiten.

Trickster

Thomas Feuerstein, Politiker I, 2007. Polypropylen,

Für die Ausstellung im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum wählte Thomas Feuerstein die Figur Tricksters als Protagonisten. Die mythische Gestalt, die als Schelm, Gauner, Fabulant und listiger Querulant ohne Moral und Norm unterschiedliche Mythen und Erzählungen durchzieht, stört gewohnte Ordnungen, destabilisiert Systeme und soziale Strukturen. In Feuersteins Ausstellung erscheint das Tricksterprinzip in den drei Kategorien Politiker, Dämon und Parasit. Der Politiker ist der Trickster der Ordnung und Organisation. Abgeleitet vom griechischen Polis entspringt er aus der Wechselwirkung zwischen Individuum und Sozietät. In der Ausstellung präsentiert sich der politische Trickster in neuen Arbeiten der Serie „Körperlose Organe“. Von Molekülmodellen ausgehend entwirft Feuerstein eine „soziale Physik“ bzw. „politische Mengenlehre“, bei der das Individuum als singuläre Kugel zum Ausgangselement für Skulpturen wird. Die Plastiken erinnern an Gasmengen, die sich dem „gesellschaftlichen Aggregatzustand“ gemäß konfigurieren und temproräre Formen kostellieren.

Dämon

Thomas Feuerstein, Botcafé, 2007. Netwerkinstallation, Kaffeeautomat. Software: Peter Chiochetti.

Daimon stand im antiken Griechenland für die Zu- und Verteilung des Schicksals und galt als universelles Lebensprinzip, das Ordnung oder Unordnung stiftet. Heraklits Ethos Anthropo Daimon („Des Menschen Eigenart ist sein Schicksal/Dämon“) verdeutlicht die Macht des Dämons, über Glück oder Unglück des Menschen zu entscheiden. Spätestens seit dem 20. Jahrhundert haben sich Dämonen als technische Gehilfen in Prozesse des Alltagslebens eingeschlichen. Seit den 1960er Jahren sind Dämonen in den Computerwissenschaften zu einem terminus technicus geworden. DAEMON (disk and execution monitor) bezeichnet automatisierte Prozesse, die im Hintergrund von Betriebssytemen und Serverprogrammen laufen. DAEMONs operieren als Zu- und Verteiler von Daten und Informationen und steuern und überwachen unzählige Abläufe des täglichen Lebens. Ihre Macht resultiert aus dem unsichtbaren Schattendasein der Mikroprozessierung, die über Funktion oder Störung entscheidet. In der Automatisierung und kybernetischen Selbststeuerung zeigt sich die aktuelle Dämonisierung der Gesellschaft. Deutlich wird das Prinzip in der Installation Botcafé: Daimon Coffee Server“, die von DAEMONs bzw. ihren Derivaten (Bot, Crawler, Spider) gesteuert wird. Besuchen Bots einer Suchmaschine Feuersteins Website www.myzel.net, „serviert“ der Coffee Server einen Becher Kaffee. Die IP-Adressen der Bots werden zusätzich in Farbwerte (RGBA) codiert, wodurch sie, über ein Computerprogramm visualisiert, grafische Spuren hinterlassen. Die Rauminstallation „DAIMON“ (2007) bringt das Wirken von DAEMON mit der beängstigenden Atmosphäre des tradierten Dämonenbegriffs zusammen. In einem dunklen Raum haust die Allegorie eines elektronischen Dämons. Vier skulpturale Objekte stehen bzw. hängen im Raum – verbunden durch eine Vielzahl schwarzer Steuerkabel. Bei jedem Besuch eines Bot fahren die Dämonen in die Objekte, versetzen diese in mechanishe Schwingung und bringen einen vom Musiker Chris Martinek programmierten Soundteppich zum Erklingen.

Parasit

Thomas Feuerstein, Parasit, 2007. Bandwurm, Formalin, Glasdarm, Vitrine, 170 x 100 x 60 cm.

In der antiken römischen Kultur waren Dämonen Genien und als solche Schutzgeister der Menschen. Als Begriff des Genius haben sie die abendländische Philosophie hindurch überlebt und wurden im romantischen Geniekult zum Inbegriff des Künstlers. Der Parasit war ursprünglich Tempelbeamter und für die Verwaltung der Opfergaben verantwortlich. Er speiste mit den Dämonen und Götten und wurde später zur Metapher eines ungleichen Tausches, bei dem Symbole gegen Marterie wechseln. Der Parasit wird zum Philosophen und Künstler, der seine Arbeit gegen Nahrung und materielle Güter tauscht. In der Biologie ernährt sich der Parasit „schmarotzend“. Dargestellt durch einen Bandwurm in einem verschlungenen Glasdarm erhält der parasitäre Trickster bei Feuerstein eine biotechnische Form. Interessant ist hier vor allem die Wechselbeziehung zwischen Parasit und Wirt, der im Fall des Rinderbandwurms der Mensch selbst ist. Der Parasit lebt in einem paradiesischen Zustand, in dem das Innen zum Außen, der Darm zur Welt und der Körper zum Darm wird. Als Figur des Wandels verändert der Trickster permanent seine Gestalt, schafft überraschende Möglichkeiten und wird zum idealen Erzähler der „konzeptuellen Narration“. Die installativen und skulpturalen Arbeiten der Ausstellung werden durch Zeichnungen und Grafiken kontextualisiert. Sie zeigen verschiedene Aspekte des Tricksterprinzips und wirken in ihrem Wechselverhältnis aus Bild und Sprache - z.B. NLP – THE NEW TOURETTE - SPIN DAIMON (DAIMON NLP, 2007) - wie Bildmaterialien aus einer fiktiven Wissenschaftsenzyklopädie, die unterschiedliche Erscheinungsformen einer Spezies anführt; einer Spezies, die in unser Köpfen und Kulturprogrammen lebt und unser Denken und Begehren steuert.