Trickster: Politiker, Dämonen, Parasiten
Aus Daimon
TRICKSTER
Politiker - Dämonen – Parasiten
Eine Ausstellung von Thomas Feuerstein im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, 4. Juli bis 2. September 2007.
Die Geschichte der Kunst erzählt von zahlreichen Tricks und Special Effects: Kunstwerke verführen und betrügen,verunsichern die Wahrnehmung, stören soziale Ordnungen und moralische Werte, provozieren Unruhe oder verunreinigen Kategorien und Systeme. In der Kunst werden wir hintergangen, bestohlen und verlacht. Doch liegt nicht gerade darin der Gewinn, wenn Kunstwerke mit uns Spiele treiben und gewohnte Stabilitäten als kontingente Zustände präsentieren, die überraschende Möglichkeiten bereithalten?
In der zeitgenössischen Kunst hat nach Lewis Hyde der Künstler die Rolle des Tricksters übernommen, zumindest jener Künstlertyp, dessen Material gesellschaftliche Parameter bilden, die er verformt und überschreitet. In der Mythologie findet sich der Trickster (Betrüger, Schwindler) in zahlreichen Legenden, vom antiken Griechenland bis Nordamerika, Afrika und China. Im Unterschied zu einem herkömmlichen Dieb, geht der Trickster erfindungsreich vor und oft ist das Wissen um den angewandten Trick wertvoller als das entwendete Gut. Er verändert die Welt nicht strategisch nach einem Plan, sondern beiläufig, indem er beispielsweise Technologie und Sprache, aber auch Vergänglichkeit und Tod bringt. Weder Mensch noch Tier, noch Gott oder Teufel, existiert der Trickster im Dazwischen, um Identitäten aufzubrechen. Er akzeptiert keine Beschränkungen, weder der Moral, der Erkenntnis noch der Natur und ihrer Gesetze. Er ist mit exzessiven Trieben ausgestattet, die von Fresslust über sexuelle Begierden bis zur unstillbaren Neugierde und Wissensdurst reichen. Schamlos und amoralisch überschreitet er gewaltsam Grenzen, stellt sich der herrschenden Macht und den Institutionen entgegen und sorgt indirekt für eine Wiederbelebung und Erneuerung der Kultur.
Als diabolischer und widersprüchlicher Anti-Held eines nondualistischen Handelns, verkörpert der Trickster gegenwärtige Befindlichkeiten, die ihn für Thomas Feuerstein und seine künstlerische Methode der „konzeptuellen Narration“ zu einem geeigneten Protagonisten der Ausstellung machen. Das Trickster-Prinzip, das die Trennung zwischen Dingen und Zeichen, Fakten und Fiktionen aufhebt, liefert den Metatext für die Ausstellung, die sich in die drei „Kapitel“ Politiker, Dämonen, Parasiten gliedert. Der Begriff Politiker ist hier in einem erweiterten Sinne zu verstehen und zielt auf Fragen der Organisation beziehungsweise des Wechselverhältnisses zwischen Individuum und Sozietät. In der Ausstellung werden zu diesem „Kapitel“ neue Arbeiten aus der Serie „Körperlose Organe“ gezeigt, die ausgehend von Atom- und Molekülmodellen eine „soziale Physik“ und „politische Mengenlehre“ als Spiel zwischen Ordnung und Entropie entwerfen.
Mit Dämonen beschwört Feuerstein keine esoterischen Traditionen, sondern verfolgt Spuren, die von der griechischen Philosophie über die Physik (Laplace'scher Dämon, Maxwell'scher Dämon) bis hin zu Computersystemen reichen. Waren Dämonen bei den Griechen Zu- und Verteiler des Schicksals, mutieren sie gegenwärtig zu Prozessen, die autonom im Hintergrund digitaler Systeme und Netze, sozusagen im Dunkel der Matrix operieren und uns nur gelegentlich bei Unzustellbarkeit einer elektronischen Nachricht als Mailer-Daemon begegnen. Im technisch-sozialen Sinne erfährt unsere Gesellschaft eine umfangreiche Dämonisierung im Bereich der Videoüberwachung öffentlicher Räume, der Steuerungstechnik und Robotik. Bereits jetzt entscheiden Bots und Crawler selbsttätig über die Zu- und Verteilung von Aufmerksamkeit im Internet und Anti-Virenprogramme können als moderne Exorzisten bezeichnet werden. Darüber hinaus sieht Feuerstein in Dämonen kulturelle Programme, die sich in allen Artefakten eingeschrieben finden und unser Zusammenleben untereinander und mit Objekten bedingen. In der Ausstellung ist eine Installation mit dem Titel „Daimon“ zu sehen, die auf der Vernetzung von Materialitäten mit systemischen Prozessen beruht und - gemäß dem Tricksterprinzip - die Trennung zwischen Sprache und Dingen, Leben und Materie fetischistisch verwischt.
In indianischen Mythen trägt der Trickster den Darm um seinen Körper gewickelt, besitzt keine Kontrolle über seine Körperausscheidungen und isst aus versehen Teile des eigenen Körpers. Zusammen mit seinem unbändigen Appetit und sexuellen Drang gleicht er einem Parasiten, der bei Feuerstein in Form eines Bandwurms zum Ausstellungsobjekt wird. In einem gläsernen Darm windet sich der Wurm, dessen gesamter Körper ein nach außen gestülpter Darm ist und die hermetische Unterscheidung zwischen System und Umwelt in die Frage nach den Verhältnissen zwischen Parasit und Wirt, zwischen Biologie und Ökonomie verkehrt.
Thomas Feuerstein selbst als Trickster zu bezeichnen, liegt nahe, denn seine Arbeiten verstricken uns in Geschichten, die abgesteckte Grenzen und Kategorien verletzen. Das Faktische und das Fiktive erfahren eine Überlagerung, um kulturelle Symbolproduktionen und Machtgefüge entropisch zu verrauschen und in neuen Ordnungszusammenhängen und Gleichgewichten zu präsentieren. Der Trickster als Meister der Möglichkeiten, der Türen öffnet und das Ungesehene imaginiert, wird bei Feuerstein zu einem politischen, dämonischen und parasitischen Wesen, das aus dem Bauch der Moderne spricht und mehr denn je seine Rolle in den gegenwärtigen Erzählungen, hypertrophen Ökonomien und technischen Obsessionen hat.
- Verena Konrad, TRICKSTER – POLITIKER, DÄMONEN, PARASITEN (deutsch)
- Verena Konrad, TRICKSTER – POLITICIANS, DAEMONS, PARASITES (english)