Zweig, Stefan
Aus Daimon
Der Künstler und sein Kampf mit dem Dämon
Ab 1918 verfolgte Stefan Zweig alles Dämonische in Leben, Kunst und Dichtung mit wachsender Aufmerksamkeit. Daraus resultierte 1925 seine Essaysammlung "Der Kampf mit dem Dämon" (1925), in der das Dämonische als "Urkraft" alles Schöpferischen identifiziert wird. Demnach gibt es keine Kunst ohne Dämonie, da diese "die Kunst über das Leben, die Dichtung über die Realität" stellt.[1] Der Dämon der Schaffenskraft bedingt die Existenz des Künstlers und seines Werkes, er droht ihn aber auch zu zerreißen. Der Künstler muss mit dem Dämon ringen und der Preis für diesen Kampf ist das Kunstwerk, das er in einem labilen Zustand aus schöpferischer Spannung und zerstörerischer Überspannung hervorbringt. Der dämonische Künstler schafft nicht nur, er stört und zerstört als "Rebell" und "Aufrührer gegen die bestehende Ordnung" ohne Rücksicht auf sich selbst: "Der Dämon verkörpert in uns den Gärungsstoff, das aufquellende, quälende, spannende Ferment, das zu allem Gefährlichen, zu Übermaß, Ekstase, Selbstentäußerung, Selbstvernichtung das sonst ruhige Sein drängt (…)."[2] Obgleich daraus eine spätromantische Genie-Ästhetik spricht, die mit Pathos und Mystizismus Kunst zu einer Ersatzreligion stilisiert, spricht daraus auch eine radikale Kritik, die sich empört und strikt seiner eigenen Intuition, Inspiration und Haltung folgt. Wenn Zweig schreibt, dass der dämonische Mensch sich "gegen die Gemeinschaft des Denkens und die Monotonie der Moral"[3] stemmt, erinnert dies an Sokrates und sein Daimonion, dem Archetypus des politisch Widerständigen.
Der Dämon tritt bei Zweig in zahlreichen Facetten auf, etwa in Form des Genies, von Eros, Zivilisation oder Ideologie und verkörpert wie in der Antike eine ambivalente Kraft. Das Dämonische äußert sich in der Lebensführung, im Denken und im Werk, etwa wenn er in den Farben van Goghs Zeichen des Dämonischen vermittelt sieht.[4] Zweig unterscheidet im Wesentlichen zwei Künstlertemperamente, die sich polar an Vernunft oder Irrationalität, Ordnung oder Chaos, Gesundheit oder Krankheit, Genie oder Wahnsinn orientieren. Beispielsweise wird Goethes "kapitalistische" Methode der Lebensbewältigung und Dichtung jener des dämonischen "Spielers" - etwa bei Dostojewski - entgegengesetzt.[5] Vereinfacht ergeben sich daraus zwei Kategorien von Künstlern, die Dämonischen, die brennen, und die Spießigen, die um ihre Gesundheit fürchten. Zweig, in dem selbst ein dämonischer Kampf bis zu seinem Freitod 1942 gewütet hat, stand auf Seiten der "Maßlosen", "tragischen Naturen", der Manischen und Melancholiker, der Depressiven und Suizidgefährdeten.
Einzelnachweise
Literatur
Matjaz Birk, Thomas Eichet (Hg.), Stefan Zweig und das Dämonische, Würzburg 2008.