Pygmalion

Aus Daimon

Die Geschichte des Pygmalion, aus Roman de la Rose. MS 877, 142r, Universitätsbibliothek Valencia. Pygmalion haucht der Skulptur über Musik Leben ein.
Jean-Léon Gérôme, Pygmalion und Galatea, um 1890. Öl auf Leinwand, 87,5 x 68,6 cm. Metropolitan Museum of Art, New York. Amor richtet den Pfeil auf die Skulptur und die Liebe erweckt den toten Marmor zum Leben.

Nach Ovid[1] ist Pygmalion ein Bildhauer auf Zypern, der aufgrund seiner schlechten Erfahrungen zum Frauenfeind wird und sich leidenschaftlich der Kunst hingibt. Er schafft aus Elfenbein eine weibliche Figur, die er wie eine Frau aus Fleisch und Blut behandelt. Am Festtag der Aphrodite bittet Pygmalion die Göttin der Liebe, eine Frau zu finden, die seiner Skulptur gleicht. Durch die Liebe zum Leben erweckt, erwacht die Statue in seinen Armen und das Kunstwerk verwandelt sich in Galatea. Aus der Beziehung zu der Mensch gewordenen Skulptur geht ein Kind namens Paphos hervor.

Ab dem 18. Jh. tritt das Thema in der europäischen Kunstgeschichte häufig auf, etwa in Bildern von Lemoyne (1729) und Boucher (1750), in Stichen von Goya (1746) und Moreau (1806) oder in literarischen Werken von Boureau-Deslandes (1742), Saint-Lambert (1769) und Opern von Rameau (1748) und Rousseau (1771). Die Gewichtung der Thematik verschiebt sich im Lauf des 18. Jhs. von der Liebe zwischen Pygmalion und Galatea zur Erschaffung künstlichen Lebens. Gemeinsam mit Prometheus begründet Pygmalion den Mythos des Bildhauers, der toter Materie Leben einhaucht. Pygmalion wird zum Prototypen eines menschlichen Demiurgen, aber auch zum idealen Betrachter, der Teil des (interaktiven) Kunstwerks wird und dieses durch die Intensität der Betrachtung zum Leben erweckt.[2] Von hier aus ist es zum einen nur mehr ein Schritt zum animierten Bild in Film, Video und Computer und zum anderen zur modernen Allianz zwischen Kunst und Wissenschaft, bei der die Kreativkräfte des Künstlerateliers mit den naturwissenschaftlichen Produktivkräften des Labors verschmelzen. Prototypisch dafür gilt der 1886 erschienene Roman L’Ève future (dt. Die künftige Eva) von Auguste Villiers de l´Isle-Adam: Der englische Lord Ewald klagt Thomas Edison seine unglückliche Liebe zu einer jungen Sängerin. Ihr Körper entspricht zwar dem Ideal der Venus von Milo, aber ihre gewöhnliche Psyche stört das romantische Bild des Adeligen. Edison bietet seine Hilfe an und entwirft in seinem Labor einen elektromechanischen Roboter, der alle Tugenden wie Schönheit, Intelligenz und Treue in sich vereint. Abgesehen vom tendenziös frauenfeindlichen Unterton, der bereits von Zeitgenossen kritisiert wurde, liefert der Roman eine für das ausgehende 19. Jh. symptomatische Aktualisierung des Pygmalion-Stoffes. Der Pygmalion-Effekt infiziert die technisch-medialen Künste und wird zum mythischen Initial einer zweiten, durch den Menschen geschaffenen Natur.[3]

Der Pygmalionismus (auch Agalmatophilie oder Statuophilie), der in der Psychologie eine starke Zuneigung bzw. sexuelle Präferenz gegenüber (nackten) Statuen bezeichnet und auch andere unbelebte menschliche Darstellungen wie Gemälde oder Artefakte anthropomorpher Form fetischistisch miteinbezieht, wird in mediatisierten Internet-Phänomen virtueller Avatare.


Einzelnachweise

  1. Vgl. Ovid, Metamorphosen, Buch 10, Vers 243 ff.
  2. Vgl. Oskar Bätschmann, Pygmalion als Betrachter, Köln 1985
  3. Vgl. Victor I. Stoichita, The Pygmalion Effect, Chicago 2008.