Dialog

Aus Daimon

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Innerer Dialog

Der Dialog mit dem Daimon ist meist wie beim Sokratischen Dämon monologisch: der Dämon spricht im Traum oder als innere Stimme, als Instinkt oder Bauchgefühl und der Mensch empfängt und hört.

Eine andere Formen des Dialogs mit Dämonen ist das "wahnsinnige" Zwiegespräch, wie etwa die manischen Korrespondenzen Philipp Mainländers mit seinem Daimon oder die Konversationen des Wissenschaftlers und Theosophen Emanuel Swedenborg (1688 – 1772), der die letzten 25 Jahre seines Lebens in sozialer Abgeschiedenheit in London verbrachte, um mit Dämonen und Engeln Konversation zu pflegen.

Externalisierter Dialog: Zettelkasten

Für Niklas Luhmann war der Zettelkasten der wichtigste dialogische Partner seines Schreibens. "Ohne zu schreiben, kann man nicht denken; jedenfalls nicht in anspruchsvoller, anschlußfähiger Weise. (…) Wenn man aber sowieso schreiben muß, ist es zweckmäßig, diese Aktivität zugleich auszunutzen, um sich im System der Notizen einen kompetenten Kommunikationspartner zu schaffen. Für Kommunikation ist eine der elementaren Voraussetzungen, daß die Partner sich wechselseitig überraschen können. Nur so ist ein Generieren von Information im jeweils anderen möglich."[1]

Das Dämonische des Zettelkastens liegt in seiner Struktur und Vielfalt kombinatorischer Möglichkeit, bei der sich Kontingenz und Sinn nicht ausschließen. Im Gegenteil mit der Anzahl der Notizen wachsen die Verknüpfungspotentiale. Das Dämonische im Zettelkasten entfaltet in seiner grundlegenden Bedeutung von daiesthai (zu-, verteilen) gleichzeitig seine syntaktische und semantische Möglichkeit. Es wird zu einer Sprach- und Sinngenerierungsmaschine bzw. wird Sprache selbst zum Dämon, der aus einem spricht und in der Schrift sein Eigenleben entwickelt. Noam Chomsky untersucht dies in seiner generativen Linguistik, wenn er zwischen der Syntax eigenen Kreativität und der Kreativität, die aus dem Sprachgebrauch hervorgeht unterscheidet.[2]

Das Internet nicht nur metaphorisch als Zettelkasten zu beschreiben, sondern tatsächlich produktiv zu machen, ist Gegenstand zahlreicher Projekte im Feld künstlicher Intelligenz. Der große Appetit von Google Books zielt letztlich auf die Züchtung eines "kompetenten Kommunikationspartners" (Luhmann), der letztlich mit künstlicher Intelligenz "überraschen" soll.

Künstlerischer Dialog

Wer sich einem künstlerischen Medium anvertraut, muss mit dessen Eigengesetzlichkeit rechnen und das Werk dialogisch einbinden. Der Künstler ist nicht souveräner Demiurg oder Diktator seines Könnens, der sein Kunstwollen als innere Notwendigkeit Medien und Materialien einschreibt, sondern er bringt das Werk zum Sprechen, um im Akt des Zur-Sprache-bringens das Werk zu schaffen. Die Hervorbringung bzw. Kreation von Kunst ist dabei mehr poetischer als ästhetischer Natur. Kreativität als geniale Eingebung zu beschreiben, greift zu kurz und fördert kunsthistorische Mythenbildung. Kreativität realisiert sich nicht im Dialog mit obskuren Genien und Dämonen, sondern schafft sich ihren eigenen Dämon als Zu- und Verteiler von Bedeutungen, Prozessen und Materialien. Wird der künstlerische Dialog ausgelagert und formalisiert, entstehen Regeln, Programme, Manifeste oder generative Software. Generative Werke, die sich verselbständigen und eine eigene Logik gründen, inkorporieren jene Elemente, die man einst Rezeptur, Maniera oder Stil nannte. Aufbauend auf diese Logik entsteht eine eigenständige Ontologie der Kunst, die an sich keine Dialektik zwischen Werk, Künstlerin und RezipientIn voraussetzt, umgekehrt aber für jede Hermeneutik offen ist. Das Werk verwandelt sich von einem passiven, willenlosen Medium zu einem „sprechenden“, aus seinen eigenen Regeln heraus sich entfaltenden Prozess. Das Werk verliert Objekt- und gewinnt Subjektcharakter.

Einzelnachweise

  1. Niklas Luhmann, "Kommunikation mit Zettelkästen. Ein Erfahrungsbericht", in: Ders., Universität als Milieu, Bielefeld 1992, S. 53.
  2. Vgl. Noam Chomsky, Language and Problems of Knowledge. The Managua Lectures, London, Cambridge 1988.


Weblinks

W.B. Yeats, Swedenborg, Mediums and the Desolate Places